BGH, Urteil vom 17.01.2023 - Aktenzeichen VI ZR 316/20
Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Vorteilsausgleich, Annahmeverzug)
Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Vorteilsausgleich, Annahmeverzug).
In den sogenannten Dieselfällen ist der Schadensersatzanspruch aus §§ 826 , 31 BGB im Wege des Vorteilsausgleichs um die vom Geschädigten gezogenen Nutzungsvorteile zu reduzieren.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin 73 % und die Beklagte 27 %. Von den außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin 45 % und die Beklagte 55 %.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.
Sie erwarb im Februar 2015 von einem Autohaus ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, Typ Tiguan 2.0 TDI als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 34.500 €, den sie mit einem Kredit der Volkswagen Bank finanzierte. Sie leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.000 € und beglich zwölf monatliche Raten à 152,45 €. Die Schlussrate in Höhe von 24.139,26 € zahlte sie nicht.
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und in diesem Falle in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß schaltete. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 gegenüber der Beklagten einen Rückruf für Fahrzeuge mit dem Motor EA189 an, verbunden mit der Aufforderung, die als unzulässig einzuordnende Abschalteinrichtung zu entfernen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 forderte die Klägerin die Beklagte auf, das Fahrzeug Zug um Zug gegen Erstattung der geleisteten Zahlungen und Freistellung von der Schlusszahlungsverpflichtung zurückzunehmen, wobei Gebrauchsvorteile für die Nutzung des Fahrzeugs nicht abzuziehen seien.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - die Erstattung ihrer an die Bank geleisteten Anzahlung und der beglichenen Raten in Höhe von insgesamt 10.829,40 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von der offenen Schlussrate Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Sie begehrt darüber hinaus die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben; es hat von der Klageforderung lediglich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.758,58 € in Abzug gebracht. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung auf 8.910,43 € reduziert. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben, soweit darin festgestellt wird, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, und die Klage insoweit abgewiesen. Die weitergehenden Rechtsmittel hat es zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen den vorgenommenen Vorteilsausgleich und verfolgt ihren Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten weiter. Die Beklagte hat ihre Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826 , 31 BGB gegen die Beklagte zu. Die Klägerin sei von der Verpflichtung zur Erbringung der noch offenen Schlusszahlung freizustellen. Darüber hinaus seien ihr die auf den Darlehensvertrag geleisteten Zahlungen in Höhe von 10.829,40 € zu erstatten. Hiervon sei allerdings eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.910,43 € abzuziehen, so dass ein Zahlungsbetrag von 1.918,97 € verbleibe. Der Feststellungsantrag sei dagegen nicht begründet. Die Beklagte befinde sich nicht in Annahmeverzug. Das Angebot der Klägerin entspreche nicht der tatsächlich von der Beklagten geschuldeten Leistung. Die Klägerin sei bis zuletzt nicht bereit gewesen, den auch nur annähernd zutreffend unter Abzug der Nutzungsentschädigung berechneten Zahlungsbetrag entgegenzunehmen.
II.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass sich die Klägerin im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss. Die von der Revision der Klägerin dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
a) Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein. Letztlich folgt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung aus dem in § 242 BGB festgelegten Grundsatz von Treu und Glauben (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 65 mwN; vom 13. April 2021 - VI ZR 274/20, NJW 2021, 2362 Rn. 19; vom 20. Juli 2021 - VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594 Rn. 27 und - VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922 Rn. 28).
b) Nach diesen Grundsätzen ist der Schadensersatzanspruch der Klägerin im Wege des Vorteilsausgleichs um die von ihr gezogenen Nutzungsvorteile zu reduzieren. Entgegen der Auffassung der Revision steht dem Vorteilsausgleich nicht das Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung entgegen. Dies gilt auch für den Fall, dass es sich bei den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und den §§ 6 , 27 EG-FGV um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelte. Denn die nationalen Gerichte sind berechtigt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (vgl. EuGH, Urteile vom 25. März 2021 - C-501/18, WM 2021, 826 Rn. 125; vom 13. Juli 2006 - C-295/04 bis C-298/04, EuZW 2006, 529 Rn. 94 mwN; Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022 - C-100/21, juris Rn. 61 f.). Dementsprechend ist es mit dem unionsrechtlichen Effizienzgebot grundsätzlich vereinbar, einen Ersatzanspruch nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zu reduzieren, soweit er zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führte (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 76 a.E.; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 63 mwN zum Kartellschadensersatz).
Ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn die Nutzungsentschädigung den Schadensersatz vollständig aufzehrt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022 - C-100/21, juris Rn. 62; Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 15), kann offenbleiben. Denn eine derartige Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Der Klägerin ist nicht nur ein Betrag in Höhe von 1.918,97 € zuerkannt worden; die Beklagte ist darüber hinaus dazu verurteilt worden, die Klägerin von der Verpflichtung zur Zahlung der Schlussrate in Höhe von 24.139,26 € freizustellen.
c) Gegen die Bemessung der Höhe der von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile (§ 287 ZPO ) erhebt die Revision keine Beanstandungen.
2. Aufgrund des vorzunehmenden Vorteilsausgleichs ist auch der auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten gerichtete Antrag der Klägerin unbegründet. Die Klägerin hat im Hinblick darauf, dass sie in dem Schreiben vom 26. Oktober 2016 die Erstattung und Freistellung bezüglich des gesamten Kaufpreises verlangt und sich noch bis in die Revisionsinstanz gegen die Anrechnung von Nutzungsersatz gewehrt hat, durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Sie hat damit ihr Angebot zur Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an unberechtigte Bedingungen geknüpft. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 30; vom 14. Dezember 2020 - VI ZR 573/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 4; vom 23. März 2021 - VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 15; BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 50).
Von Rechts wegen
Verkündet am: 17. Januar 2023