BVerfG, Beschluss vom 10.08.2009 - Aktenzeichen 1 BvQ 34/09
Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gegen das Verbot einer Versammlung mit dem Thema "Gedenken an Rudolf Hess"
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Normenkette:
BayVersG,BY Art. 15 Abs. 1; BayVersG,BY Art. 15 Abs. 2; StGB § 130 Abs. 4 ; BVerfGG § 32 Abs. 1 ;Gründe:
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Verbindung mit § 130 Abs. 4 StGB gestützten versammlungsrechtlichen Verfügung, mit welcher die vom Antragsteller für den 22. August 2009 in Wunsiedel angemeldete Versammlung mit dem Thema "Gedenken an Rudolf Heß" einschließlich jeder Form von Ersatzveranstaltung sowohl unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen im Bereich des Stadtgebietes Wunsiedel verboten wird.
2.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen gerichteten Klage abgelehnt (B 1 S 09.410). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen (10 CS 09.1604).
3.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161> ; 111, 147 <152 f. >; stRspr).
4.
Im vorliegenden Fall lässt sich weder die Unzulässigkeit noch die offensichtliche Unbegründetheit der eingelegten Verfassungsbeschwerde im Zuge der dem Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung feststellen. Die dem versammlungsbehördlichen Verbot zugrunde liegende, im Jahre 2005 geschaffene Norm des § 130 Abs. 4 StGB wirft eine Reihe schwieriger Rechtsfragen auf, die nur in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren geklärt werden können. Die Notwendigkeit einer solchen Klärung gilt auch in Blick auf die im Jahre 2008 geschaffene, sich am Wortlaut des § 130 Abs. 4 StGB orientierende, über diesen jedoch teils hinausgehende landesrechtliche Norm des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG, auf welche das Landratsamt Wunsiedel und das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth - im Gegensatz zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der sich auf die Ermächtigungsgrundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Verbindung mit § 130 Abs. 4 StGB beschränkt hat - das sofort vollziehbare Verbot zusätzlich gestützt haben. Mittlerweile liegt eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der entsprechenden Versammlung im Jahre 2005 (Urteil vom 25. Juni 2008 - BVerwG 6 C 21.07 -) und damit eine aus verwaltungsgerichtlicher Sicht abschließende fachgerichtliche Aufbereitung der Rechtsprobleme vor. Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat der Antragsteller Verfassungsbeschwerde eingelegt (1 BvR 2150/08), über die in Kürze eine Entscheidung ergehen wird. Angesichts der Vielschichtigkeit der hiermit verbundenen Fragen kann dieser Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren nicht vorgegriffen werden. Für dieses bleibt nach alledem nur festzustellen, dass die Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsverbot insoweit weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist.
5.
Die Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren ist damit anhand einer Folgenabwägung zu treffen. Daher sind gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161> ; 96, 120 <128 f.>; stRspr).
Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Versammlung bestehen, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Antragsteller die geplante Versammlung nicht durchführen und würde dadurch um die Möglichkeit gebracht, von dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen. In diesem Fall hätte die Versammlung stattgefunden, obwohl die Gefahr eines Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB unmittelbar bestanden hat, also die einer Störung des öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch, dass die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt wird.
In den vergangenen Jahren hat die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insbesondere unter Verweis auf die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Gesetzgebers zur Gewichtung des Schutzguts von § 130 Abs. 4 StGB abgelehnt (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 16. August 2005 - 1 BvQ 25/05 -; Beschluss vom 14. August 2006 - 1 BvQ 25/06 -; Beschluss vom 13. August 2007 - 1 BvR 2075/07 -; Beschluss vom 13. August 2008 - 1 BvR 2102/08 -). In ihre Abwägung hat die Kammer dabei eingestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sich auf eine in jährlichen Abständen immer wieder am Todestag von Rudolf Heß geplante Veranstaltung bezieht; der Nachteil für den Antragsteller sei insoweit geringer, als wenn es um eine Demonstration aus einem besonderen aktuellen und insofern unwiederbringlichen Anlass ginge. Im Falle eines Obsiegens im verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren bleibe es dem Antragsteller unbenommen, zukünftig wieder derartige Gedenkveranstaltungen zu planen und gegebenenfalls unter Beachtung des Versammlungsgesetzes durchzuführen. Die Kammer hat zwar auch darauf verwiesen, dass sich dieser Gesichtspunkt im Laufe der Zeit immer mehr verbraucht und der Nachteil des Antragstellers durch die Nichtdurchführung der Veranstaltung bei mehrmaliger Versagung einer einstweiligen Anordnung zunehmend an Gewicht gewinnt. In der Tat wird das Anliegen des Antragstellers, eine Gedenkkundgebung durchzuführen, die mit einem bestimmten Datum verknüpft ist, hier dem Todestag von Rudolf Heß, nun zum wiederholten Male vereitelt. Gewiss ist eine solche fünfte Untersagung der Veranstaltung in Folge von ganz erheblichem Gewicht. Dennoch erreicht der Nachteil auch in diesem Jahr noch nicht ein solches Gewicht, dass er die Nachteile überwiegt, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. In diesem Fall würde eine solche Versammlung gegen § 130 Abs. 4 StGB verstoßen, durch den der Gesetzgeber die Strafwürdigkeit der vom Antragsteller konkret geplanten Gedenkkundgebung zum Ausdruck bringen wollte. Angesichts des Gewichts dieses Nachteils ist dem Antragsteller zuzumuten, mit Rücksicht auf die nun unmittelbar bevorstehende endgültige Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen durch das Bundesverfassungsgericht nochmals aufgrund einer bloßen Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG auf die Durchführung der von ihm geplanten Versammlung zu verzichten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.