BGH, Urteil vom 18.12.2007 - Aktenzeichen VI ZR 62/07
Umfang der Nutzungsausfallentschädigung bei bereits erfolgter Bestellung eines Ersatzfahrzeugs
»Dem Geschädigten kann über den vom Sachverständigen veranschlagten Zeitraum hinaus bis zur Lieferung des bereits vor dem Unfall bestellten Fahrzeugs Nutzungsausfallentschädigung zuzubilligen sein, soweit diese die wirtschaftlichen Nachteile, die durch den Ankauf und Wiederverkauf eines Zwischenfahrzeugs zusätzlich entstehen würden, nicht wesentlich übersteigt.«
Tatbestand:
Der Kläger fordert nach einem Verkehrsunfall vom Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs des Unfallgegners u.a. Nutzungsausfallentschädigung.
Am 11. Oktober 2005 wurde der PKW des Klägers bei einem Auffahrunfall total beschädigt. Für den entstandenen Schaden haftet der Unfallgegner unstreitig in vollem Umfang. Die Beklagte zahlte vorprozessual den für die Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs erforderlichen Betrag von 7.084,54 ]. Der für den Ersatzkauf erforderliche Zeitraum wurde vom Sachverständigen auf 14 Kalendertage geschätzt. Der Kläger mietete vom 11. Oktober 2005 bis 21. Oktober 2005 einen Mietwagen. Am 17. Oktober 2005 übersandte der damalige anwaltliche Vertreter des Klägers der Beklagten den am 26. April 2005 geschlossenen Kaufvertrag über einen PKW, dessen Lieferung für Dezember 2005 vorgesehen war. In einem Begleitschreiben wies er darauf hin, dass der Kläger gezwungen sei, bis zur Lieferung des bestellten Fahrzeugs entweder auf Kosten der Beklagten ein "Interimsfahrzeug" anzukaufen oder bis zur Lieferung Nutzungsausfallentschädigung geltend zu machen. Für den Fall, dass die Beklagte bis 24. Oktober 2005 nichts anderes mitteilen sollte, werde für den weitergehenden Zeitraum Nutzungsausfall beansprucht werden. Die Beklagte ließ die Frist verstreichen. Die Kosten für das Mietfahrzeug glich sie aus, weitere Zahlungen lehnte sie ab. Der Kläger verlangt neben einer erhöhten Unkostenpauschale, Ersatz für die Tankfüllung des verunfallten PKW und Entschädigung des Nutzungsausfalls bis zum 2. Januar 2006, dem Liefertag des PKW.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen, weil die Frage eines Nutzungsausfallschadens und der Schadensminderungspflicht des Geschädigten bei im Unfallzeitpunkt bereits bestelltem Ersatzfahrzeug durch Anschaffung eines Interimfahrzeuges in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher noch nicht abschließend geklärt sei. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Klageforderung in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht führt aus, dass der Kläger zwar über die bereits erstatteten Mietwagenkosten hinaus für die zur Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs erforderliche Zeit Nutzungsausfallentschädigung für vier Tage beanspruchen könne. Die Forderung sei jedoch durch vorprozessuale Zahlungen ausgeglichen. Darüber hinaus komme Nutzungsentschädigung nicht in Betracht, weil der finanzielle Verlust im Zusammenhang mit der Anschaffung eines Interimsfahrzeugs und dessen anschließendem Wiederverkauf im Hinblick auf die Lieferzeit von neun Wochen für das vor dem Unfall bestellte Fahrzeug jedenfalls deutlich niedriger sei als die Nutzungsausfallentschädigung bis zur Lieferung. Der Kläger verletze die Schadensminderungspflicht. Daran ändere auch das Schreiben vom 17. Oktober 2005 nichts, da ein bestimmter Erklärungswert mit dem Schweigen der Beklagten nicht verbunden sei.
II. 1. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Dem Eigentümer eines privat genutzten PKW, der durch einen Schaden die Möglichkeit zur Nutzung verliert, steht grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz für seinen Nutzungsausfall zu, wenn er zur Nutzung willens und fähig gewesen wäre (vgl. Senatsurteile, BGHZ 45, 212 ff.; 56, 214, 215 f.; 161, 151, 154; GSZ BGHZ 98, 212 , 220; BGH, Urteil vom 20. Oktober 1987 - X ZR 49/86 - NJW 1988, 484 , 485 f.). Seine Grenze findet der Ersatzanspruch am Merkmal der Erforderlichkeit nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sowie an der Verhältnismäßigkeitsschranke des § 251 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1984 - VI ZR 225/82 - VersR 1985, 283 , 284). Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist auch zu berücksichtigen, dass der Geschädigte unter mehreren möglichen Wegen des Schadensausgleichs im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat. Das gilt nicht nur für die eigentlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten, sondern gleichermaßen für die Mietwagenkosten (vgl. Senatsurteile, BGHZ 160, 377 , 383; 163, 19, 22) und ebenso für die Nutzungsausfallentschädigung (vgl. BGHZ 40, 345 , 354 f.). Dementsprechend hat der Schädiger grundsätzlich Nutzungsersatz nur für den Zeitraum zu leisten, der zur Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes erforderlich ist (vgl. BGHZ 45, 211, 216; OLG Hamm, VersR 1993, 766 , 767; Palandt/Heinrichs, BGB , 67. Aufl., § 249 Rn. 33; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 25 Rn. 11, 24 und 30). Im Allgemeinen ist dies die Dauer der Reparatur bzw. bis zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Benötigt der Geschädigte für die Schadensbehebung einen längeren Zeitraum, ist zu unterscheiden, ob er sich wegen des Unfalls ein Ersatzfahrzeug mit längerer Lieferzeit anschafft oder ob er - wie im Streitfall - schon vor dem Unfall ein Ersatzfahrzeug bestellt hat. Bei der ersten Fallgruppe kann eine längere Wartezeit nicht zu Lasten des Schädigers gehen, weil sie auf der freien Disposition des Geschädigten beruht (vgl. Senatsurteile, BGHZ 154, 395 , 398; 155, 1, 7; Urteil vom 20. Juni 1989 - VI ZR 334/88 - VersR 1989, 1056 f.; Weber, VersR 1990, 934, 938 ff.; Steffen, NZV 1991, 1, 2; ders. NJW 1995, 2057, 2059 f.).
b) Hat der Geschädigte hingegen das Fahrzeug bereits vor dem Unfall bestellt und wollte er bis zur Lieferung das verunfallte Fahrzeug nutzen, ist die bereits bestehende wirtschaftliche Planung aufgrund des Unfalls gestört. Der Geschädigte ist gezwungen, entweder für die Lieferzeit ein gebrauchtes Fahrzeug zu kaufen und dieses nach der Lieferung wieder zu verkaufen oder ein Fahrzeug zu mieten oder auf die Nutzung zu verzichten. In einem solchen Fall ist zum einen zu bedenken, dass nach dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung bei der Schadensabrechnung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen ist (vgl. Senatsurteile, BGHZ 115, 364 , 369; 115, 375, 378; 132, 373, 376 f.; 155, 1, 5). Auch muss das Grundanliegen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB berücksichtigt werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll, indem der Zustand wiederhergestellt wird, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne Schadensereignis entspricht (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 373 , 376; 154, 395, 398 f.; 155, 1, 5; Steffen, NZV 1991, 1, 3; ders. NJW 1995, 2057, 2062). Zum andern hat der Geschädigte unter mehreren möglichen Wegen des Schadensausgleichs im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren Weg zu wählen. Die Wirtschaftlichkeit der Schadensberechnung ist dabei mit Blick auf die zu erwartenden Kosten ex ante aus der Sicht des Geschädigten zu beurteilen.
c) Nach diesen Grundsätzen kann dem Geschädigten über den vom Sachverständigen veranschlagten Zeitraum hinaus bis zur Lieferung des bereits vor dem Unfall bestellten Fahrzeugs Nutzungsausfallentschädigung zuzubilligen sein, soweit diese die wirtschaftlichen Nachteile, die durch den Ankauf und Wiederverkauf eines Zwischenfahrzeugs zusätzlich entstehen würden, nicht wesentlich übersteigt. In einem solchen Fall kann dem Geschädigten Aufwand und Risiko, die mit dem An- und Verkauf eines Gebrauchtwagens verbunden sind, nicht zugemutet werden.
d) Ob die Kosten noch verhältnismäßig und erforderlich waren, hat der hinsichtlich der Schadenshöhe nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter unter Würdigung der Gesamtumstände im Einzelfall zu entscheiden. Der Geschädigte hat, da es um die Frage der Erforderlichkeit der Kosten zur Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB geht, darzulegen und zu beweisen, dass der Kostenunterschied unwesentlich und die Schadensabrechnung noch wirtschaftlich ist (vgl. Senatsurteil, BGHZ 160, 377 , 385). Die Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder der Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind (vgl. Senatsurteil, BGHZ 102, 322 , 330 m.w.N.).
2. Im Streitfall rügt die Revision mit Erfolg, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage unzureichender Feststellungen zu der Auffassung gelangt ist, der finanzielle Verlust im Zusammenhang mit der Anschaffung eines entsprechenden Interimsfahrzeugs sei jedenfalls deutlich geringer als die in dem Zeitraum bis zur Lieferung anfallende Nutzungsausfallentschädigung.
a) Zwar begegnet keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht aufgrund der Lieferangabe "12/2005" im Kaufvertrag von einem Liefertermin Ende Dezember und dementsprechend von einem Lieferzeitraum von neun Wochen ausgegangen ist. Konkrete Anhaltspunkte, nach denen der Kläger mit einer früheren Lieferung bereits Anfang Dezember 2005 hätte rechnen können, zeigt die Revision nicht auf.
b) Doch beruhen die Ausführungen des Berufungsgerichts im Übrigen auf eigenen Einschätzungen und Vermutungen, ohne dass die hierzu auch im Rahmen des § 287 ZPO erforderliche Sachkunde dargelegt würde (vgl. Senat, Urteil vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - VersR 1995, 681 , 682 m.w.N.; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - VersR 2001, 1547 , 1548). Allein der Umstand, dass das beschädigte Fahrzeug bereits 7 Jahre alt war und eine Laufleistung von 174.000 Kilometer aufwies, sagt nichts darüber aus, mit welchen zusätzlichen Kosten bei einem Zwischenkauf tatsächlich zu rechnen wäre.
c) Die für den Kostenvergleich erforderlichen Feststellungen sind im Streitfall auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger aufgrund des Schweigens der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf sein Schreiben vom 17. Oktober 2005 einen Anspruch auf weiteren Nutzungsersatz hätte. Die Auffassung des Berufungsgerichts ist insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Wäre der Kläger gehalten gewesen, sich im Hinblick auf die deutlich niedrigeren Kosten mit einem Interimsfahrzeug zu behelfen, konnte er keinen Anspruch auf weitere Nutzungsausfallentschädigung dadurch begründen, dass er die Rechtsvorgängerin der Beklagten zur Äußerung aufforderte und diese darauf nicht reagierte. Schweigen als Zustimmung kommt im Rechtsverkehr nur in Betracht, wenn besondere Umstände, insbesondere ein zu Gunsten des anderen Teils entstandener Vertrauenstatbestand, dies rechtfertigt. Allein die Aufforderung, eine Erklärung abzugeben, begründet für die andere Seite jedoch noch keine Verpflichtung, einen gegenteiligen Willen zum Ausdruck zu bringen. Dies ist nur der Fall, wenn nach Treu und Glauben ein Widerspruch des Empfängers des Schreibens erforderlich gewesen wäre (vgl. BGHZ 1, 353, 355; BGH, Urteil vom 9. Februar 1990 - V ZR 200/88 - NJW 1990, 1601 - insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 110, 241 ff.). Davon kann im Verhältnis zwischen Geschädigtem und gegnerischer Haftpflichtversicherung in der Regel nicht ausgegangen werden. Entgegen der Auffassung der Revision war die Beklagte auch nicht verpflichtet, den Kläger auf die mögliche Unwirtschaftlichkeit seines Vorgehens hinzuweisen.
III. Nach alldem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren ist zu beachten, dass sich die Revision gegen die Abweisung der Klage auf Schadensersatz für das im Tank des beschädigten Fahrzeugs enthaltene Benzin und eine höhere Unkostenpauschale nicht gewandt hat.