BGH, Urteil vom 10.10.2006 - Aktenzeichen X ZR 42/06
Bemessung des Honorars eines Sachverständigen für die Begutachtung eines Kraftfahrzeugunfallschadens
a) Ein Vertrag, nach dem ein Sachverständiger ein Gutachten über die Höhe eines Kraftfahrzeugunfallschadens zu erstellen hat, ist ein Werkvertrag. b) Für die Bemessung der Vergütung des Sachverständigen ist der Inhalt der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung maßgeblich, wobei nach § 632 BGB - in dieser Reihenfolge - ihre tatsächliche Absprache, eine eventuell vorliegende Taxe oder die übliche Vergütung den Inhalt der Vereinbarung bestimmen. Andernfalls ist eine verbleibende Vertragslücke nach den Grundsätzen über die ergänzende Vertragsauslegung zu schließen, für die Gegenstand und Schwierigkeit der Werkleistung und insbesondere die mit dem Vertrag verfolgten Interessen der Parteien von Bedeutung sein können. Nur wenn sich auf diese Weise eine vertraglich festgelegte Vergütung nicht ermitteln lässt, kann zur Ergänzung des Vertrages auf die Vorschriften der §§ 315 , 316 BGB zurückgegriffen werden. c) Ein Sachverständiger, der für Routinegutachten eine an der Schadenshöhe orientierte angemessene Pauschalierung seiner Honorare vornimmt, überschreitet die Grenzen des ihm vom Gesetz eingeräumten Gestaltungsspielraums grundsätzlich nicht. d) Mit der Rechtskraft des Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB tritt Verzug des Schuldners ohne weiteres und auch dann ein, wenn das Urteil einen bestimmten Zeitpunkt für die Leistung nicht ausdrücklich festlegt.
Tatbestand:
Der Kläger ist Kraftfahrzeugsachverständiger. Die Beklagte war mit ihrem Personenkraftwagen an einem Verkehrsunfall beteiligt und erteilte dem Kläger am 11. Oktober 2004 den schriftlichen Auftrag, ein Gutachten über die Unfallschäden an ihrem Fahrzeug zu erstellen. In dem Auftrag heißt es: "Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass sich das Grundhonorar des Sachverständigen nach der Höhe des tatsächlichen Schadens am Kraftfahrzeug bestimmt." Der Kläger erstellte das Gutachten und kam zu einer Schadenssumme von 12.951,69 EUR zuzüglich Wertminderung in Höhe von 1.200,-- EUR. Für die Erstellung des Gutachtens berechnete er insgesamt eine Vergütung von 887,40 EUR. Der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners der Beklagten lehnte die Bezahlung der Rechnung mit der Begründung ab, diese enthalte "Pauschalpositionen". Mit der Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung des Rechnungsbetrages zuzüglich Zinsen seit dem 1. März 2005 in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Die Beklagte ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe:
Nachdem die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben, kann über die Revision im schriftlichen Verfahren entschieden werden (§ 128 Abs. 2 ZPO ; vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO , 22. Aufl., § 128 ZPO Rdn. 55). Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung.
I. Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag um einen Werkvertrag nach § 631 BGB handelt. Das steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Sen.Urt. v. 4. 4. 2006 - X ZR 80/05, BGHReport 2006, 1081, und X ZR 122/05, NJW 2006, 2472 , zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
II. 1. Zum Vergütungsanspruch des Klägers hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Vergütungsvereinbarung der Parteien sei zwar entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht nach § 138 BGB sittenwidrig, die Abrechnung nach bestimmten Sätzen auf der Grundlage der Schadenshöhe könne dem erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung entsprechen. Sie leide aber an einem Mangel. Wenn der Kläger schon von der sonst allgemein üblich gewesenen Abrechnungsweise eines Sachverständigen abrücke und aus (nicht zu beanstandenden) Gründen der Vereinfachung der Abrechnungsweise auf die Schadenshöhe als Bemessungsgrundlage für seine Vergütung zurückgreife, müsse für den Auftraggeber erkennbar gemacht werden, welche "Gebühren" im Einzelnen angesetzt werden könnten. Es müsse von vornherein ersichtlich sein, nach welchen Maßstäben sich die Höhe der Vergütung bemesse. Daran fehle es im Streitfall, da eine Tabelle nicht vorgelegen habe. Zwar habe der Kläger in der Klageschrift die Honorarbefragung 1994 des Bundesverbandes der freien und unabhängigen Sachverständigen e.V. (BSVK) vorgelegt, dies reiche jedoch nicht aus, da die darin enthaltene Tabelle der Beklagten bei Vertragsschluss hätte bekannt gemacht werden müssen. Das Gericht habe auch nicht die Aufgabe, die übliche Vergütung festzustellen. Diese sei allenfalls anhand des Zeitaufwands zu errechnen gewesen; die festgestellte Schadenshöhe am Fahrzeug sei hierfür ungeeignet gewesen.
2. Diese Ausführungen greift die Revision mit Erfolg an.
a) Nach § 632 Abs. 1 BGB gilt die Zahlung einer Vergütung für die Werkleistung als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, war dies hier der Fall, so dass dem Kläger ein Vergütungsanspruch zusteht. Da die Parteien - wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - eine bestimmte Vergütung nicht vereinbart haben und eine Taxe im Sinne von § 632 Abs. 2 BGB für die Erstellung von Schadensgutachten der hier fraglichen Art nicht besteht, ist nach der Vorschrift des § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Das trägt dem Verständnis Rechnung, das Parteien regelmäßig bei Abschluss des Vertrages zugrunde legen, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - von einer ausdrücklichen Absprache über die Höhe der Vergütung für die Werkleistung absehen. Im Allgemeinen soll in einem solchen Fall nach ihrer Vorstellung deren Festlegung nicht der einseitigen Bestimmung einer Vertragspartei überlassen werden. Sie gehen vielmehr davon aus, dass mit ihrer Vereinbarung auch ohne ausdrückliche Abrede die Höhe der Vergütung festgelegt ist, weil es zumindest eine aus vergleichbaren Sachverhalten abzuleitende Richtgröße in Form eines üblichen Satzes gibt, der auch in ihrem Fall herangezogen werden kann. Auch davon ist das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausgegangen.
Wie der Senat in den bereits genannten Senatsurteilen vom 4. April 2006 ( X ZR 80/05 und X ZR 122/05, aaO.) ausgeführt hat, kann als übliche Vergütung vor diesem Hintergrund nicht nur ein fester Satz oder gar ein fester Betrag herangezogen werden. Sind die Leistungen einem als einheitlich empfundenen Wirtschaftsbereich zuzuordnen, wie es etwa bei Leistungen aus den Gewerken der Handwerker oder - wie im vorliegenden Fall - bei Sachverständigen der Fall sein wird, kann sich eine Üblichkeit im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB auch über eine im Markt verbreitete Berechnungsregel ergeben. Darüber hinaus ist die übliche Vergütung regelmäßig nicht auf einen festen Betrag oder Satz festgelegt, sondern bewegt sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite (Staudinger/Peters, BGB , Bearb. 2003, § 632 BGB Rdn. 38), neben die aus der Betrachtung auszuscheidende und daher unerhebliche "Ausreißer" treten können. Fehlen feste Sätze oder Beträge, kann es daher für die Annahme einer üblichen Vergütung ausreichen, dass für die Leistung innerhalb einer solchen Bandbreite liegende Sätze verlangt werden, innerhalb derer die im Einzelfall von den Parteien als angemessen angesehene Vergütung ohne weiteres auszumachen und gegebenenfalls durch den Tatrichter zu ermitteln ist. Eine solche Festlegung der Vergütung wird für den Fall des Fehlens ausdrücklicher Absprachen und Taxen nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Wertung die Regel sein.
b) Für die Auffassung des Berufungsgerichts, üblich sei nur eine nach Zeitaufwand berechnete Vergütung, fehlt es an tragfähigen tatsächlichen Feststellungen. Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, der Beklagten hätte bei Vertragsschluss die vom Kläger als übliche behauptete Vergütung in Form einer Tabelle zur Kenntnis gebracht werden müssen und es sei nicht Aufgabe des Gerichts, die üblich Vergütung festzustellen, kann dem nicht beigetreten werden. Zwar hat der Gläubiger des Vergütungsanspruchs die Üblichkeit der geltend gemachten Vergütung darzulegen und unter Beweis zu stellen; trägt er aber entsprechend vor, so ist es Aufgabe des Tatrichters, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen, die angetretenen Beweise zu erheben und die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat sich der Kläger zur Frage der Üblichkeit der von ihm geforderten Vergütung auf die Honorarbefragung 1994 des Bundesverbandes der freien und unabhängigen Sachverständigen e.V. bezogen. Ob sich aus dieser Befragung eine übliche Vergütung und gegebenenfalls in welcher Höhe ermitteln lässt, kann im Revisionsverfahren nicht geklärt werden, so dass die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, das die erforderlichen Feststellungen - gegebenenfalls auf der Grundlage ergänzenden Vorbringens der Parteien und unter Beachtung der in den Senatsurteilen vom 4. April 2006 ( X ZR 80/05 und X ZR 122/05, aaO.) gegebenen Hinweise, dort auch zum Zinspunkt - zu treffen haben wird. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass eine ergänzende Vertragsauslegung notwendig ist, wird es jedenfalls in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen haben, dass die Parteien über eine Bemessung des Honorars des Klägers unter Berücksichtigung der Schadenshöhe einig waren.