BGH, Beschluss vom 24.04.2024 - Aktenzeichen XII ZB 282/23
Beanspruchung von Mehrbedarf eines Kindes für die Vergangenheit; Erlass einer Beschwerdeentscheidung durch Übergabe des unterschriebenen Beschlusses an die Geschäftsstelle
a) Das Beschwerdegericht muss in einer Familienstreitsache die Beschwerdeentscheidung nicht gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 311 Abs. 2 ZPO in einem Termin verkünden, wenn es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat. Die Beschwerdeentscheidung kann in einem solchen Fall gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG durch Übergabe des unterschriebenen Beschlusses an die Geschäftsstelle erlassen werden. b) Mehrbedarf eines Kindes kann für die Vergangenheit nicht erst von dem Zeitpunkt an verlangt werden, in dem er ausdrücklich geltend gemacht worden ist. Es reicht für die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen vielmehr aus, dass von diesem Auskunft mit dem Ziel der Geltendmachung des Kindesunterhaltsanspruchs begehrt worden ist (Fortführung von Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 ).
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 6. Juni 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung eines rückständigen Kindesunterhalts in Höhe von 1.503 € für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. August 2021 in den Betrag von 1.086,50 € übersteigender Höhe zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Normenkette:
FamFG § 38 Abs. 3 S. 3; FamFG § 68 Abs. 3 S. 2; FamFG § 113 Abs. 1 ; BGB § 1613 Abs. 1 S. 1;Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um rückständigen Unterhaltsmehrbedarf.
Der im Mai 2012 geborene Antragsteller lebt im Haushalt seiner Mutter. Sein Vater, der Antragsgegner, zahlte für ihn zunächst auf der Grundlage einer außergerichtlichen Einigung Kindesunterhalt. Mit E-Mail vom 24. Februar 2020 setzte die Mutter des Antragstellers den Antragsgegner "für einen höheren Kindsunterhalt [...] in Verzug" und begehrte von ihm die Vorlage der Gehaltsabrechnungen für das Jahr 2019 sowie weiterer Unterlagen. Am 14. April 2021 verpflichtete sich der Antragsgegner mit einer Jugendamtsurkunde des Landratsamts K. zur Zahlung von Kindesunterhalt für den Antragsteller nach der sechsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle. Am selben Tag forderte die Mutter des Antragstellers den Antragsgegner auf, Elementarunterhalt nach der neunten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen und sich anteilig in Höhe von 49 € pro Monat an den Kosten für die Betreuung des Antragstellers in der Offenen Ganztagsschule zu beteiligen, die sie als Mehrbedarf geltend machte.
Nachdem über die Höhe des geschuldeten Kindesunterhalts keine Einigung erzielt werden konnte, hat der Antragsteller den Antragsgegner im vorliegenden Verfahren unter anderem auf Zahlung von rückständigem Elementarund Mehrbedarf für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. August 2021 in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat dem Antragsteller einen Unterhaltsrückstand in Höhe von insgesamt 1.728 € (davon 588 € Mehrbedarf) zugesprochen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Amtsgerichts teilweise abgeändert und den Antragsgegner zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands in Höhe von insgesamt 1.086,50 € (davon 171,50 € Mehrbedarf für die Zeit ab dem 1. April 2021) verpflichtet. Für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. März 2021 hat das Oberlandesgericht einen Anspruch des Antragstellers auf Mehrbedarf verneint. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Titulierung eines weiteren rückständigen Mehrbedarfs in Höhe von 416,50 € erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat nach Erteilung eines entsprechenden Hinweises von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen und seinen Endbeschluss ausweislich eines darauf angebrachten Vermerks am 8. Juni 2023 an die Geschäftsstelle übergeben. Hierdurch ist der Beschluss nach §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG erlassen und somit existent geworden, so dass er das Stadium eines bloßen Entwurfs verlassen und das Beschwerdeverfahren zum Abschluss gebracht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 14).
Zwar hat der Senat wiederholt ausgesprochen, dass urteilsersetzende Beschlüsse in Ehesachen und Familienstreitsachen gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 311 Abs. 2 ZPO in einem Termin durch Vorlesung der Entscheidungsformel oder durch Bezugnahme auf die Entscheidungsformel zu verkünden sind und der Nachweis für die erfolgte Verkündung nur durch das Sitzungsprotokoll geführt werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2017 - XII ZB 504/15 - FamRZ 2017, 821 Rn. 9 mwN; vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 15 mwN und vom 19. Oktober 2011 - XII ZB 250/11 - FamRZ 2012, 106 Rn. 13 mwN). Dies gilt jedoch nicht für Beschwerdeentscheidungen, die gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung ergangen sind (insoweit missverständlich Senatsbeschluss vom 20. September 2023 - XII ZB 177/22 - FamRZ 2024, 32 Rn. 60).
Die Vorschrift des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist zum 1. September 2009 in Familienstreitsachen an die Stelle des § 522 Abs. 2 ZPO getreten und soll eine einfachere Erledigung von vornherein aussichtsloser Rechtsmittel ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 412), wenngleich ein Vorgehen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht lediglich auf den Fall der vollständigen Zurückweisung der Beschwerde beschränkt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2014 - XII ZB 111/13 - FamRZ 2014, 1992 Rn. 15). Ein in einer zivilprozessualen Familiensache ohne mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ergangener Zurückweisungsbeschluss musste nicht in einem Termin verkündet werden (vgl. § 329 Abs. 1 und 2 ZPO ) und auch für Beschlüsse in Familienstreitsachen, die gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung ergehen, schreibt das Gesetz die Verkündung in einem Termin nicht vor (vgl. Prütting/Helms/Feskorn FamFG 6. Aufl. § 117 Rn. 69; Zöller/Feskorn ZPO 35. Aufl. § 38 FamFG Rn. 16; Langeheine FamRZ 2024, 38 , 39). Eine nicht verkündete Entscheidung wird nach § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG , der gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch in Familienstreitsachen Anwendung findet, durch Übergabe des unterzeichneten Beschlusses an die Geschäftsstelle erlassen (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2022 - XII ZB 450/21 - FamRZ 2023, 212 Rn. 20 mwN). Von dieser Verlautbarungsform hat das Beschwerdegericht Gebrauch gemacht.
2. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in FF 2023, 314 veröffentlichten Entscheidung zum Mehrbedarf Folgendes ausgeführt:
Bei den Kosten für die Betreuung des Antragstellers in der Offenen Ganztagsschule handele es sich um Mehrbedarf des Kindes. Rückständiger Mehrbedarf könne - ebenso wie rückständiger Elementarbedarf - nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB beansprucht werden. Soweit der Unterhaltspflichtige nicht in Verzug gesetzt oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig gemacht worden sei, bestehe ein Anspruch auf rückständigen Mehrbedarf nur ab dem Zeitpunkt, zu welchem der Pflichtige zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden sei, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen. Nicht ausreichend sei dabei ein allgemeines Auskunftsverlangen, das nicht auf eine bestimmte Unterhaltslage hinweise. Vielmehr müsse speziell zum Zwecke der Geltendmachung eines bestimmten Unterhaltsanspruchs Auskunft verlangt werden, da nur so die erforderliche Warnfunktion für den Unterhaltsschuldner erfüllt werden könne. Es müsse also deutlich gemacht werden, dass die Auskunft benötigt werde, um einen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend konkreten Unterhaltsantrag stellen zu können. Wenn das unterhaltsberechtigte Kind neben dem Elementarbedarf auch Mehrbedarf geltend machen wolle, müsse hierauf bereits im Rahmen der Auskunftsaufforderung hingewiesen werden. Die Aufforderung müsse sich in diesem Fall somit ausdrücklich auch auf den begehrten Mehrbedarf beziehen.
Eine Auskunftsaufforderung allein im Rahmen des Elementarbedarfs sei daher nicht ausreichend, um den Unterhaltsschuldner vor hohen Mehrbedarfsnachforderungen zu schützen. In der E-Mail vom 24. Februar 2020 habe die Mutter des Antragstellers keine Ausführungen zu etwaigen, vom Antragsgegner anteilig zu tragenden Kosten für die Betreuung des Antragstellers in der Offenen Ganztagsschule gemacht. Erstmals mit vorgerichtlichem Schriftsatz vom 14. April 2021 sei der Antragsgegner insoweit zur anteiligen Zahlung eines Mehrbedarfs in Höhe von monatlich 49 € aufgefordert worden, weshalb der Antragsteller erst ab April 2021 und nicht bereits ab Februar 2020 rückständigen Mehrbedarf vom Antragsgegner beanspruchen könne.
3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Beschwerdegericht zwar unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung (Senatsbeschluss BGHZ 216, 96 = FamRZ 2018, 23 Rn. 19) davon ausgegangen, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten wegen des pädagogischen Konzepts der vom Antragsteller besuchten Offenen Ganztagsschule unterhaltsrechtlich um Mehrbedarf handelt, der von seinen Eltern anteilig zu tragen ist. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, Mehrbedarf könne (wie auch Elementarbedarf) für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangt werden. Beide Punkte werden im Rechtsbeschwerdeverfahren - zu Recht - nicht in Zweifel gezogen.
b) Unzutreffend ist indessen die Ansicht des Beschwerdegerichts, in einer auf die Geltendmachung von Kindesunterhalt gerichteten Auskunftsaufforderung nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB müsse ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass nicht nur Elementarunterhalt, sondern auch Mehrbedarf begehrt werde, damit ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Auskunftsverlangens vom Unterhaltspflichtigen (anteilig) Mehrbedarf gefordert werden könne.
aa) Nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB kann für die Vergangenheit unter anderem von dem Zeitpunkt an Erfüllung gefordert werden, zu welchem der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden ist, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen. Vom Zeitpunkt des Zugangs dieses Begehrens an wird der Unterhaltspflichtige vom Gesetzgeber nicht mehr als schutzwürdig angesehen, weil er seine Einkommensverhältnisse kennt und gegebenenfalls Rücklagen bilden muss (Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 , 195 f. mwN).
bb) Wird der Unterhaltspflichtige nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Zwecke der Geltendmachung von Kindesunterhalt zur Auskunftserteilung aufgefordert, kann ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Begehrens der Kindesunterhaltsanspruch in seiner Gesamtheit gefordert werden. Dies gilt auch, wenn im Auskunftsverlangen nicht explizit auf die beabsichtigte Geltendmachung eines über den Elementarunterhalt hinausgehenden Mehrbedarfs hingewiesen wurde.
(1) Diese Frage ist allerdings umstritten. So wird - mit dem Beschwerdegericht - die Auffassung vertreten, dass ein allgemein auf die Geltendmachung von Kindesunterhalt gerichtetes Auskunftsverlangen nicht ausreichend sei, um ab Zugang dieses Verlangens nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB über den Elementarunterhalt hinaus auch einen Mehrbedarf beanspruchen zu können (BeckOK BGB/Reinken [Stand: 1. Februar 2024] § 1613 Rn. 34a; Reinken FamFR 2010, 25, 26; vgl. auch jurisPK-BGB/Viefhues [Stand: 10. April 2024] § 1613 Rn. 116 ff.; vgl. ferner OLG Düsseldorf Urteil vom 11. September 2000 - 2 UF 67/00 - juris Rn. 7 zur früheren Fassung des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB ). Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass eine allgemeine Auskunftsaufforderung zum Zwecke der Geltendmachung von Kindesunterhalt auch hinsichtlich eines Mehrbedarfs die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB auslöse (BeckOGK/Winter [Stand: 1. Februar 2024] BGB § 1613 Rn. 193; Born FamRZ 2023, 1375 f.; vgl. auch jurisPK-BGB/Viefhues [Stand: 10. April 2024] § 1613 Rn. 340).
(2) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
(a) Für die Auslegung von Gesetzen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen (BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058 Rn. 66 mwN; Senatsbeschlüsse BGHZ 225, 166 = FamRZ 2020, 1009 Rn. 17 mwN und vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 - FamRZ 2019, 181 Rn. 56 mwN).
(b) Bereits der den Ausgangspunkt der Auslegung bildende Wortlaut des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB spricht gegen die vom Beschwerdegericht vertretene Rechtsauffassung. Denn dieser sieht ein Auskunftsverlangen an den Unterhaltspflichtigen "zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs" vor, ohne dass ein Erfordernis erkennbar wäre, alle Teile des einheitlichen, den gesamten Lebensbedarf umfassenden Unterhaltsanspruchs (§ 1610 Abs. 2 BGB ), deren Geltendmachung beabsichtigt ist, im Einzelnen konkret zu benennen.
Der Lebensbedarf eines Kindes umfasst zunächst den Regelbedarf, der durch die in der Düsseldorfer Tabelle aufgeführten Beträge abgedeckt wird. Daneben kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Mehrbedarf für solche Bedarfspositionen treten, die ihrer Art nach nicht in den Tabellensätzen enthalten sind und regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfallen, aber kalkulierbar sind und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden können (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2023 - XII ZB 177/22 - FamRZ 2024, 32 Rn. 21 mwN und 42 mwN). Dagegen kann ein unregelmäßiger außergewöhnlich hoher Bedarf (Sonderbedarf), der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftritt, bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente nicht berücksichtigt werden (Senatsbeschluss BGHZ 233, 309 = FamRZ 2022, 1366 Rn. 45 mwN). Er kann für die Vergangenheit nach § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB ohne die Einschränkung des § 1613 Abs. 1 BGB verlangt werden. Demgegenüber können Regelbedarf und Mehrbedarf für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB gefordert werden, wobei es für die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen ausreichend ist, wenn von diesem allgemein zum Zwecke der Geltendmachung des Kindesunterhaltsanspruchs Auskunftserteilung begehrt wurde.
(c) Dieses Verständnis wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. Die Möglichkeit, Unterhalt für die Vergangenheit über die Fälle des Verzugs des Unterhaltspflichtigen und der Rechtshängigkeit hinaus auch von jenem Zeitpunkt an fordern zu können, zu dem der Unterhaltspflichtige zur Auskunftserteilung aufgefordert worden ist, wurde durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 ( Kindesunterhaltsgesetz ; BGBl. I S. 666) geschaffen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah als Voraussetzung zunächst nur vor, dass dem Unterhaltspflichtigen ein Verlangen, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, zugegangen ist (BT-Drucks. 13/7338 S. 6 und 31). Der Bundesrat hatte die Regelung im Grundsatz begrüßt, aber eine Ergänzung dahingehend angeregt, dass die Auskunftsaufforderung "zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs" erfolgen muss. Denn es sei denkbar und in der Praxis nicht ungewöhnlich, dass entweder allgemein - ohne Hinweis auf einen besonderen Anspruch - oder aber nur bezüglich eines bestimmten Anspruchs (z. B. Ehegattenunterhalt, Kindesunterhalt oder Zugewinnausgleich) Auskunft verlangt werde. Da nach den allgemeinen Regeln eine Mahnung hinreichend bestimmt sein müsse und das Auskunftsverlangen der Inverzugsetzung gleichgestellt werden solle, müsse es sich auf einen bestimmten Anspruch beziehen, um die ihm beigelegte Warnfunktion für den Verpflichteten entfalten zu können. Diese notwendige Verbindung solle auch bei der Formulierung des Gesetzestextes zum Ausdruck kommen, um Schwierigkeiten in der Praxis von vorneherein zu vermeiden (BT-Drucks. 13/7338 S. 53). Der Vorschlag ist von der Bundesregierung (BT-Drucks. 13/7338 S. 58) und vom Rechtsausschuss des Bundestages (BT-Drucks. 13/9596 S. 7 und 34) befürwortet worden und letztlich Gesetz geworden.
Die Auskunftsaufforderung muss sich also auf einen bestimmten Unterhaltsanspruch beziehen, damit die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB ausgelöst werden (so auch Wendl/Dose/Siebert Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 6 Rn. 107; Kintzel in Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein Handbuch Familienrecht 12. Aufl. Kapitel 6 Rn. 1045; Koch/Wellenhofer Handbuch Unterhaltsrecht 13. Aufl. § 6 Rn. 75). Um einen hinreichenden Schutz des Unterhaltspflichtigen zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber Auskunftsbegehren, die entweder nicht auf einen konkreten Unterhaltsanspruch oder auf einen anderen als den später geltend gemachten Anspruch bezogen sind, als unzureichend erachtet. Insbesondere sollte verhindert werden, dass etwa ein (nur) auf Ehegattenunterhalt bezogenes Auskunftsverlangen auch hinsichtlich eines Kindesunterhaltsanspruchs die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB auslöst. Denn nur ein Unterhaltspflichtiger, der vom Unterhaltsberechtigten mit Blick auf einen konkret benannten Unterhaltsanspruch zur Auskunftserteilung aufgefordert wird, muss insoweit ab diesem Zeitpunkt mit einer Inanspruchnahme rechnen (vgl. auch OLG Frankfurt FuR 2002, 534 , 535). Hingegen ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber über die konkrete Bezeichnung eines bestimmten Unterhaltsanspruchs hinaus auch die Benennung aller begehrten Bestandteile dieses Anspruchs im Auskunftsverlangen für erforderlich gehalten hätte.
(d) Dieser Befund entspricht dem Sinn und Zweck des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB . Nach einhelliger Auffassung dient die Vorschrift dem Schutz des Unterhaltspflichtigen vor hohen Nachforderungen. Ab dem Zugang einer Auskunftsaufforderung wird der Unterhaltspflichtige aber nicht mehr als schutzwürdig angesehen, weil er von diesem Zeitpunkt an konkret damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, und hierzu gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen bilden kann und muss (vgl. BT-Drucks. 13/7338 S. 31; Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 , 195 f. mwN; Grüneberg/v. Pückler BGB 83. Aufl. § 1613 Rn. 3; MünchKommBGB/Langeheine 9. Aufl. § 1613 Rn. 5; Staudinger/Klinkhammer BGB [2022] § 1613 Rn. 5 mwN; Maier in Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 7. Aufl. § 1613 Rn. 1; Weinreich/Klein/Eder Familienrecht 7. Aufl. § 1613 Rn. 19).
Ausgehend von diesem Schutzzweck muss die Auskunftsaufforderung dem Unterhaltspflichtigen also ermöglichen, sich auf die Inanspruchnahme wegen eines bestimmten Unterhaltstatbestands einzurichten und hierfür vorsorglich Rückstellungen zu bilden. Zugleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass infolge der zum 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Änderung des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB die Schutzfunktion, die der vorher erforderlichen Mahnung zukam, bewusst abgeschwächt worden ist (Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 , 196). Während eine Mahnung den Unterhaltspflichtigen nur dann in Verzug setzt, wenn diesem seine Verpflichtung nicht nur nach ihrer Existenz, sondern auch nach ihrem Umfang, also nach der Höhe des geschuldeten Betrages, bekannt ist (Senatsurteil vom 26. Mai 1982 - IVb ZR 715/80 - FamRZ 1982, 887 , 890 mwN), sollte die Neufassung des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB den Unterhaltsberechtigten davon entbinden, zu hohe Unterhaltsbeträge einzufordern, um nicht später an der rückwirkenden Geltendmachung von Unterhalt gehindert zu sein (BT-Drucks. 13/7338 S. 31). Hieraus erschließt sich, dass durch die seinerzeit geschaffene Möglichkeit der Auskunftsaufforderung eine konkrete Bezifferung des Unterhaltsanspruchs oder seiner einzelnen Bestandteile gerade entbehrlich gemacht werden sollte.
Der Unterhaltspflichtige weiß somit im Falle eines Auskunftsbegehrens nur, dass der Unterhaltsberechtigte ihn wegen eines bestimmten Unterhaltstatbestands in Anspruch zu nehmen beabsichtigt, aber ihm ist nicht bekannt, in welcher konkreten Höhe. Er ist daher mit dem Problem konfrontiert, nicht genau zu wissen, welcher Betrag für eine ausreichende Rückstellung bereitzuhalten ist. Daher muss er die Unterhaltshöhe überschlägig berechnen und eventuell vorsorglich noch einen Aufschlag hinzufügen, um sicher sein zu können, dass seine Rückstellungen ausreichend sind. Indes wird der Unterhaltspflichtige die Höhe des geschuldeten Unterhalts oftmals nicht allein anhand seines eigenen Einkommens ermitteln können. Wird etwa Trennungsunterhalt oder nachehelicher Ehegattenunterhalt begehrt, muss ihm in der Regel auch das Einkommen und Vermögen des Unterhaltsberechtigten bekannt sein, um die Unterhaltshöhe berechnen zu können. Solange er hierüber keine Kenntnis hat, kann er letztlich nur eine Schätzung vornehmen und auf dieser Basis - gegebenenfalls bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit - Rückstellungen bilden. Diese beim Unterhaltspflichtigen etwaig eintretende Unsicherheit hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, als er die Vorschrift des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB zum 1. Juli 1998 geändert hat.
Eine solche Unsicherheit besteht beim Kindesunterhalt jedenfalls hinsichtlich des Regelbedarfs zwar grundsätzlich nicht, weil der zur Auskunft aufgeforderte Elternteil anhand der Düsseldorfer Tabelle die aufgrund seines Einkommens geschuldete Unterhaltshöhe errechnen kann. Beim Mehrbedarf des Kindes stellt sich die Situation aber ähnlich dar wie etwa beim Ehegattenunterhalt. Für den Mehrbedarf haften die Eltern gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (Senatsbeschluss vom 20. September 2023 - XII ZB 177/22 - FamRZ 2024, 32 Rn. 21 mwN). Selbst wenn der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltspflichtigen in der Auskunftsaufforderung nicht nur auf die beabsichtigte Geltendmachung von Mehrbedarf hinweisen, sondern ihm auch die Höhe der anfallenden Kosten mitteilen würde, wäre damit die Unsicherheit regelmäßig nicht beseitigt. Denn ohne Kenntnis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteils wird es dem zur Auskunft aufgeforderten Elternteil (abgesehen von den Fällen der eigenen Leistungsunfähigkeit) nicht möglich sein, seine Haftungsquote hinsichtlich des Mehrbedarfs zu errechnen. Die Situation würde sich für den Unterhaltspflichtigen also nicht nennenswert verbessern, wenn man im Auskunftsbegehren einen ausdrücklichen Hinweis auf die beabsichtigte Geltendmachung eines Mehrbedarfs und gegebenenfalls dessen Höhe verlangen würde. Die beim Unterhaltspflichtigen eintretende Unsicherheit hat der Gesetzgeber bewusst hingenommen, als er den Unterhaltsberechtigten von der konkreten Bezifferung seiner Ansprüche entbunden hat. Ein vorsichtiger Unterhaltspflichtiger ist daher gehalten, im Falle des Zugangs einer Auskunftsaufforderung zum Zwecke der Geltendmachung von Kindesunterhalt den aufgrund seines Einkommens nach der Düsseldorfer Tabelle zu erwartenden Regelbedarf und vorsorglich noch einen weiteren Betrag für einen etwaigen (anteiligen) Mehrbedarf zurückzulegen.
(e) Der Senat hat zum Trennungsunterhalt ausgesprochen, dass Elementar- und Altersvorsorgeunterhalt nicht Gegenstand eigenständiger Ansprüche, sondern lediglich Teile des einheitlichen, den gesamten Lebensbedarf umfassenden Unterhaltsanspruchs eines Ehegatten sind und es daher für eine Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen für die Vergangenheit ausreicht, wenn von diesem Auskunft mit dem Ziel der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs begehrt wurde. Eines gesonderten Hinweises, es werde auch Altersvorsorgeunterhalt verlangt, bedarf es nicht (Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 , 196 mwN). Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts stellt sich die Situation beim ebenfalls als einheitlicher Anspruch ausgestalteten Kindesunterhalt nicht so grundlegend anders dar, dass die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Erwägungen nicht auf den Kindesunterhalt übertragen werden könnten. Zwar gehört nach § 1361 Abs. 1 Satz 2 BGB der Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt vom Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags an ohne Weiteres zum Lebensbedarf im Rahmen des Trennungsunterhalts (vgl. Senatsurteil vom 22. November 2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193 , 196), während ein über die Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle hinausgehender Mehrbedarf nicht regelhaft, sondern nur im Bedarfsfall anfällt. Dies ändert aber nichts daran, dass der Unterhaltspflichtige im Falle einer Auskunftsaufforderung zur Geltendmachung von Trennungsunterhalt gleichermaßen im Unklaren darüber ist, ob der Unterhaltsberechtigte überhaupt Altersvorsorgeunterhalt begehren wird, wie ihm im Falle eines Auskunftsbegehrens zur Geltendmachung von Kindesunterhalt nicht bekannt ist, ob Mehrbedarf beansprucht werden wird. Er kann also in beiden Fällen bis zur Bezifferung nicht vorhersehen, welche Bedarfsbestandteile der Unterhaltsberechtigte geltend machen wird, also in welcher Höhe eine Zahlungsverpflichtung auf ihn zukommt. Grundsätzlich bestehen zudem Auskunftsansprüche gegen den Unterhaltsberechtigten bzw. den anderen Elternteil (vgl. Born FamRZ 2023, 1375 , 1376), um sich die für eine Berechnung der erforderlichen Rückstellungen notwendigen Kenntnisse zu verschaffen.
cc) Nach alledem kann der Antragsteller, dessen Mutter den Antragsgegner mit E-Mail vom 24. Februar 2020 zwecks Geltendmachung eines höheren Kindesunterhalts zur Vorlage von Gehaltsabrechnungen und weiteren Unterlagen aufgefordert hatte, nach § 1613 Abs. 1 BGB grundsätzlich ab Februar 2020 Mehrbedarf wegen des Besuchs der Offenen Ganztagsschule von seinem Vater fordern.
4. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben und ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben, soweit das Beschwerdegericht einen Anspruch des Antragstellers auf Zahlung von rückständigem Mehrbedarf für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. März 2021 verneint hat. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Beschwerdegericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang für den genannten Zeitraum keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf Mehrbedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2023 - XII ZB 177/22 - FamRZ 2024, 32 Rn. 44) und zur Anspruchshöhe getroffen hat. Die Sache ist insoweit an das Beschwerdegericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG ).
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung dem Schreiben des seinerzeit für den Antragsteller tätigen Beistands vom 25. Mai 2020 ein Aussagegehalt dahingehend, dass die Geltendmachung des Kindesunterhalts auf den Elementarunterhalt beschränkt und dessen Höhe konkret beziffert worden wäre, nicht beizumessen sein dürfte.
Von Rechts wegen
Verkündet am: 24. April 2024