BGH, Beschluss vom 20.11.2014 - Aktenzeichen XII ZB 86/14
Beteiligung der Beschwerdeführer im ersten Rechtszug als Voraussetzung für ihre Beschwerdebefugnis im Betreuungsverfahren
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 15. Januar 2014 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihre Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rockenhausen vom 29. Mai 2012 verworfen wird.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
I.
Der 70jährige Betroffene leidet an einer fortschreitenden Demenz, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Am 25. Februar 2010 erteilte er seiner Schwester, der Beteiligten zu 4 (im Folgenden: Bevollmächtigte), notarielle General- und Vorsorgevollmacht.
Im April 2012 haben drei Brüder des Betroffenen, die Beteiligten zu 1 bis 3 (im Folgenden: Beschwerdeführer), die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme der Betreuungsbehörde eingeholt, der zufolge keine Veranlassung bestehe, die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht anzuzweifeln, und die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung nicht erforderlich erscheine. Noch am Tag des Eingangs der Stellungnahme hat das Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung durch Beschluss vom 29. Mai 2012 abgelehnt, weil sie im Hinblick auf die erteilte Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei.
Die Stellungnahme der Betreuungsbehörde und der Beschluss des Amtsgerichts sind den Beschwerdeführern nicht zur Kenntnis gegeben worden; sie sind in dem amtsgerichtlichen Beschluss auch nicht als Verfahrensbeteiligte aufgeführt.
Das Landgericht hat die von den Beschwerdeführern eingelegte Beschwerde nach Beweisaufnahme über die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführer.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG zulassungsfrei statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsbeschwerdebefugnis der Beschwerdeführer ergibt sich daraus, dass ihre Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ohne Erfolg geblieben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 624/11 - FamRZ 2012, 1031 Rn. 3 mwN).
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Sie ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts verworfen wird. Bereits die Erstbeschwerde ist nämlich unzulässig gewesen, weil den Beschwerdeführern die Beschwerdebefugnis gefehlt hat.
1. Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht unter anderem den Geschwistern des Betroffenen das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung im Interesse des Betroffenen nur zu, wenn sie im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden sind. Ist ein Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden, steht ihm nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung das Recht der Beschwerde unabhängig davon nicht zu, aus welchen Gründen die Beteiligung im ersten Rechtszug unterblieben ist (Senatsbeschlüsse vom 9. April 2014 - XII ZB 595/13 - FamRZ 2014, 1099 Rn. 10 und vom 30. März 2011 - XII ZB 692/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 6).
Für die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 FamFG kommt es somit entscheidend darauf an, ob die Beschwerdeführer tatsächlich im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Dabei kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Die Nichterwähnung im Rubrum stünde einer tatsächlichen Hinzuziehung zum Verfahren im Sinne des § 7 FamFG nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 9. April 2014 - XII ZB 595/13 - FamRZ 2014, 1099 Rn. 11 mwN).
2. Gemessen hieran sind die Beschwerdeführer im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden und waren demgemäß nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde befugt. Zwar ging die Einleitung des Verfahrens auf eine Anregung der Beschwerdeführer zurück, den Betreuungsbedarf zu überprüfen. Die bloße Anregung der Beschwerdeführer zur Einleitung des Verfahrens begründet für sich genommen jedoch noch nicht ihre Beteiligtenstellung (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 27; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 5. Aufl. § 303 Rn. 5). Die Beschwerdeführer sind auch weder im Lauf des sodann von Amts wegen betriebenen Verfahrens angehört worden noch ist ihnen die Stellungnahme der Betreuungsbehörde übersandt worden noch sind sie sonst irgendwie im ersten Rechtszug beteiligt worden bis der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts ergangen ist, der sie auch weder als Beteiligte ausweist noch ihnen bekannt gegeben worden ist. Darin liegt weder eine förmliche noch eine konkludente Hinzuziehung der Beschwerdeführer als Verfahrensbeteiligte.
3. Angehörige des Betroffenen müssen, wenn sie nicht von Amts wegen zu dem Verfahren hinzugezogen werden (§ 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG ), durch die Stellung eines entsprechenden Antrags gemäß § 7 Abs. 3 FamFG während des ersten Rechtszugs vorgreiflich auf ihre Verfahrensbeteiligung hinwirken und, sollte der Antrag abgelehnt werden, das hierfür vorgesehene Rechtsmittel einlegen. Erst wenn auf diesem Weg die Verfahrensbeteiligung erreicht wurde, erhält der Angehörige die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 FamFG gegen die betreuungsrechtliche Entscheidung (Senatsbeschluss vom 30. März 2011 - XII ZB 692/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 9). Die damit verbundene starke Einschränkung der Befugnis, das Beschwerdeverfahren in Gang zu setzen, entspricht der vom Gesetzgeber in § 303 FamFG getroffenen Differenzierung. Anders als dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG steht der Betreuungsbehörde gemäß § 303 Abs. 1 FamFG die Beschwerde gegen die Anordnung einer Betreuung oder deren Umfang auch dann zu, wenn sie mangels eigenen Antrags (§ 274 Abs. 3 FamFG ) im ersten Rechtszug nicht beteiligt war.
4. Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung von Angehörigen nach Abschluss des ersten Rechtszugs - sei es in einem Zwischenverfahren, sei es im Rahmen des Abhilfeverfahrens - kommt ebenfalls nicht in Betracht (a.A. LG Verden BtPrax 2010, 242; LG Landau FamRZ 2011, 60, 61; LG Saarbrücken FamRZ 2010, 1371, 1372; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 303 Rn. 20 a; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 28; MünchKommFamFG/Schmid-Recla 2. Aufl. § 303 Rn. 5 a; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 4. Aufl. § 303 Rn. 8; Bork/ Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl. § 303 Rn. 9). Nach dem Wortlaut des § 303 Abs. 2 FamFG kommt es auf die tatsächliche Beteiligung der Angehörigen im ersten Rechtszug an. Dieser endet jedoch mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses durch das Amtsgericht. Das sich auf eine Beschwerde anschließende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern schließt an diesen an. Bereits aus der systematischen Stellung des § 68 Abs. 1 FamFG ergibt sich, dass das Abhilfeverfahren zum Gang des Beschwerdeverfahrens gehört (so auch Bumiller/ Harders FamFG 10. Aufl. § 68 Rn. 2; Haußleiter FamFG § 68 Rn. 2).
5. Dadurch wird allerdings nicht ausgeschlossen, dass ein Angehöriger mangels materieller Rechtskraft der Entscheidung des Betreuungsgerichts unter Darstellung seines bislang nicht berücksichtigten Vorbringens mit einem neuen Antrag eine Änderung der Entscheidung anregt und zur Vorbereitung dieser Entscheidung nunmehr seine Hinzuziehung als Verfahrensbeteiligter beantragt (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 28; Fröschle/Locher Betreuungs- und Unterbringungsrecht § 303 FamFG Rn. 13; Sonnenfeld in Bienwald/ Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 303 Rn. 15).
Im Rahmen eines solchen Verfahrens wäre der Betreuungsbedarf des Betroffenen an den im Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2010 (XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11) aufgestellten Grundsätzen zu messen, wonach eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht die Bestellung eines Betreuers dann nicht hindert, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachterteilung Bedenken bestehen und die Vertretung durch die Bevollmächtigte deshalb im Rechtsverkehr auf Akzeptanzprobleme stößt.