BVerwG, Urteil vom 26.01.2011 - Aktenzeichen 5 C 19.10
Anrechnung von für Unterhaltsvorschussleistungen von einem Elternteil zurückgezahlten Zeiten auf die Leistungshöchstdauer nach dem UVG
§ 3 UVG ; § 5 Abs. 1 UVG Auf die Leistungshöchstdauer des § 3 UVG sind Zeiten nicht anzurechnen, für die Unterhaltsvorschussleistungen von einem Elternteil nach § 5 Abs. 1 UVG bestandskräftig zurückverlangt und tatsächlich zurückgezahlt worden sind (Fortführung von Urteil vom 5. Juli 2007 - BVerwG 5 C 40.06 -).
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der bei seiner Mutter lebende Kläger weitere Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz verlangen kann.
Der im Juli 2002 geborene Kläger bezog im Zeitraum zwischen Dezember 2002 und Ende Februar 2009 für insgesamt 73 Monate und neun Tage Unterhaltsvorschussleistungen.
Mit bestandskräftigem Bescheid aus dem Jahr 2006 forderte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 28. Februar 2006 von der Mutter des Klägers nach § 5 Abs. 1 UVG den Ersatz gewährter Unterhaltsvorschussleistungen; sie habe ihn nicht darüber informiert, dass der Kläger in dem vorgenannten Zeitraum nicht bei ihr gelebt habe. Durch bestandskräftigen, an die Mutter des Klägers adressierten Bescheid des seinerzeit zuständigen W.-Kreises wurden die zu Unrecht erhaltenen Vorschussleistungen durch einen monatlichen Einbehalt von 27 EUR mit den laufenden Leistungen verrechnet. Auf dieser Grundlage wurden in der Folgezeit 756 EUR einbehalten.
Nach erneutem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten beantragte der Kläger am 12. Mai 2009 wiederum die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen. Mit Bescheid vom 4. Juni 2009 lehnte der Beklagte dies ab, weil die Leistungshöchstdauer von 72 Monaten bereits überschritten sei.
Mit der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der von der Ersatzpflicht umfasste Leistungszeitraum dürfe nicht auf die Leistungshöchstdauer angerechnet werden. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Mai bis zum 21. September 2009 weitere Unterhaltsvorschussleistungen zu gewähren. In Höhe der von seiner Mutter im Wege der Verrechnung zurückerstatteten Beträge habe er einen Anspruch auf weitere Unterhaltsvorschussleistungen, wenn auch nur unter Berücksichtigung der Anfang 2009 erfolgten Überzahlung von einem Monat und neun Tagen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der nach § 3 UVG auf insgesamt 72 Monate begrenzte Leistungszeitraum sei ungeachtet der tatsächlich für insgesamt 73 Monate und neun Tage erhaltenen Unterhaltsvorschussleistungen nicht überschritten. Bei der Berechnung der Bewilligungshöchstdauer sei die im Wege der Verrechnung erbrachte Ersatzleistung der Mutter des Klägers zu berücksichtigen. Auch eine solche Ersatzleistung eines Elternteils nach § 5 Abs. 1 UVG , welche den Bestand des Bewilligungsbescheides im Verhältnis zum leistungsberechtigten Kind unberührt lasse, sei wirtschaftlich und funktional eine Rückabwicklung der Leistungsgewährung, auch wenn sie die Tatsache der Leistungsgewährung nicht rückwirkend entfallen lasse. Die Erwägungen in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2007 - BVerwG 5 C 40.06 - für den Fall der Aufhebung des Bewilligungsbescheides und der Rückerstattung der zugrunde liegenden Leistung von dem berechtigten Kind (§ 5 Abs. 2 UVG ) oder einem Elternteil, mit dem dieses zusammenlebe (§ 5 Abs. 1 UVG ), seien auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar, in welcher der Kläger aufgrund der Verrechnung nur verminderte Unterhaltsvorschussleistungen empfangen habe. Durch die bestandskräftig erklärte Verrechnung des klägerischen Anspruchs auf Unterhaltsvorschussleistungen mit dem Ersatzanspruch gegenüber seiner Mutter sei nicht nur der Träger der Unterhaltsleistung wieder entlastet worden. Es sei auch der Unterstützungseffekt für den alleinerziehenden Elternteil entfallen. Einer vollständigen Rückerstattung des bestandskräftig geltend gemachten Betrages bedürfe es nicht; bei einer geringeren tatsächlichen Rückzahlung verringere sich anteilig die Dauer der Nichtanrechnung auf die Leistungshöchstdauer des § 3 UVG .
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 3 UVG .
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision des Beklagten. Er weist darauf hin, dass das zuständige Bundesministerium angezeigt habe, im Falle der Erfolglosigkeit der Revision für die Verrechnung andere, kompliziertere und verwaltungsaufwändigere Zahlungsmodalitäten zu schaffen und nach anderen Wegen - möglicherweise durch Änderungen im Unterhaltsvorschussgesetz - zu suchen, um eine Motivation für die alleinerziehenden Elternteile zur Befolgung der Anzeigepflicht nach § 6 Abs. 4 UVG zu schaffen.
II
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ) entschieden, dass der Zeitraum, für den die Mutter des Klägers nach § 5 Abs. 1 UVG Ersatz geleistet hat, nicht auf die nach § 3 UVG bestimmte Leistungshöchstdauer anzurechnen ist.
1.
Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht Einvernehmen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen (§ 1 UVG ) in dem streitbefangenen Zeitraum dem Grunde nach vorgelegen haben. Allein streitig ist, ob dem entgegengehalten werden kann, dass die Leistungshöchstdauer von 72 Monaten (§ 3 UVG ) bereits ausgeschöpft gewesen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Denn auf die Leistungshöchstdauer des § 3 UVG sind Zeiten nicht anzurechnen, für die Unterhaltsvorschussleistungen von einem Elternteil nach § 5 Abs. 1 UVG bestandskräftig zurückverlangt und tatsächlich zurückgezahlt worden sind.
2.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2007 - BVerwG 5 C 40.06 - (Buchholz 436.45 § 3 UVG Nr. 1) bereits entschieden, dass der Begriff der "Unterhaltsleistung" in § 3 UVG auf die Leistungsvoraussetzungen des § 1 UVG verweist und es nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen und die dadurch bewirkte Verbesserung der finanziellen Situation der Kinder ankommt, sondern darauf, ob die gewährte Unterhaltsleistung rechtlich und wirtschaftlich als rechtmäßig gewährte Leistung nach § 1 UVG den Berechtigten auch verblieben und nicht nach § 5 Abs. 1 oder 2 UVG rückabgewickelt worden ist.
Nach diesen Grundsätzen, an denen der Senat festhält, entfällt die Rechtfertigung für eine Anrechnung auf die vom Gesetzgeber zur Kostenbegrenzung eingeführte Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung auch in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden. Sie kennzeichnet, dass zwar in dem Verhältnis zum leistungsberechtigten Kind der Bewilligungsbescheid unberührt geblieben ist, jedoch ein Elternteil nach § 5 Abs. 1 UVG bestandskräftig verpflichtet ist, Ersatz für zu Unrecht gewährte Unterhaltsvorschusszahlungen zu leisten. Die Anrechnung von Leistungszeiten auf die Leistungshöchstdauer nach § 3 UVG entfällt aber nur, wenn und soweit der Elternteil die nach § 5 Abs. 1 UVG festgesetzte Ersatzpflicht auch tatsächlich erfüllt hat.
2.1
Eine Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG besteht nur, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben und der ersatzpflichtige Elternteil vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat (Nr. 1) oder er gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren (Nr. 2). Nach § 5 Abs. 1 UVG besteht eine Ersatzpflicht mithin nur für solche Zeiträume, in denen mangels Leistungsvoraussetzungen rechtlich der Unterstützungseffekt für den alleinerziehenden Elternteil nicht hat bewirkt werden können. Dem entspricht es, dass die Voraussetzungen der Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG an jene angelehnt sind, unter denen im Verhältnis zum Leistungsberechtigten ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X zurückgenommen bzw. ein Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X aufgehoben werden kann.
Der von der Aufhebung des Bewilligungsbescheides unabhängige Ersatzanspruch nach § 5 Abs. 1 UVG zielt dabei ähnlich wie die Rücknahme im Verhältnis zum leistungsberechtigten Kind auf die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände bei der Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen. Die Ersatzpflicht des sorgeberechtigten Elternteils trägt dem Umstand Rechnung, dass das leistungsberechtigte Kind nicht oder beschränkt geschäftsfähig (§§ 104 ff. BGB ) und daher nicht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB X ) ist. Das anspruchsberechtigte Kind muss vielmehr durch den sorgeberechtigten Elternteil vertreten werden. Dessen Handlungen und Erklärungen im Bewilligungsverfahren müssen dem leistungsberechtigten Kind normativ erst zugerechnet werden. Der regelmäßig gegen den tatsächlich handelnden Elternteil gerichtete Ersatzanspruch vermeidet, dass sich ein Rückforderungsanspruch (§ 50 SGB X ) gegen das oft nicht leistungsfähige Kind richtet und das Kind für Fehlverhalten des es vertretenden Elternteils haftet.
Die Ausgestaltung als eine eigenständige, von dem Leistungsverhältnis zu dem Kind formell unabhängige Ersatzpflicht erleichtert außerdem bei objektiv rechtswidriger Leistungsgewährung die tatsächliche Rückabwicklung; der Leistungsträger muss den Bewilligungsbescheid nicht aufheben, um die Ersatzpflicht geltend machen zu können (Beschluss vom 22. Juni 2006 - BVerwG 5 B 42.06 -; s.a. Grube, UVG , 2009, § 5 Rn. 4). Diese auch der Verwaltungsvereinfachung dienende formelle Abkoppelung vom Bewilligungsbescheid und damit vom Rechtsgrund der ursprünglichen Zahlung ändert aber nichts daran, dass § 5 Abs. 1 UVG materiell eine rechtswidrige Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen voraussetzt und deren Rückabwicklung dient. Im Ergebnis bewirkt die Durchsetzung eines Ersatzanspruchs nach § 5 Abs. 1 UVG , dass das der Haushaltsgemeinschaft zur Verfügung stehende Gesamteinkommen nachträglich geschmälert wird. Wirtschaftlich betrachtet wird das Kind damit aber nicht oder nur wenig anders gestellt, als wenn der Bewilligungsbescheid ihm gegenüber zurückgenommen wird. Dies rechtfertigt es, die Festsetzung einer Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG im Ergebnis einer Aufhebung des Bewilligungsbescheides gleichzustellen.
2.2
Eine weitere Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen kommt aber im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zur Kostenbegrenzung eingeführte Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung nur in Betracht, wenn die Ersatzpflicht tatsächlich erfüllt worden ist.
Die Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung soll gerade auch die wirtschaftliche Belastung der Unterhaltsvorschusskasse begrenzen. Mit der Verlängerung der Leistungshöchstdauer von zunächst 36 Monaten auf 72 Monate (Gesetz zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und der Unterhaltssicherungsverordnung vom 20. Dezember 1991, BGBl. I S. 2322) hat sich der Gesetzgeber von dem ursprünglich die Begrenzung mittragenden Gesichtspunkt gelöst, dem leistungsberechtigten Kind lediglich für die Dauer der Klärung der Unterhaltsrechtsverhältnisse Unterstützung zu gewähren (BTDrucks 8/1952 S. 6; 8/2774 S. 11). Eine weitere Verbesserung durch zeitliche Ausdehnung der Ansprüche wurde vor allem aus fiskalischen Erwägungen ausgeschlossen (vgl. BTDrucks 12/1523 S. 5). Diese Begründung der Leistungshöchstdauer rechtfertigt und gebietet, dass erst die tatsächliche Erfüllung der Ersatzpflicht zu einer Nichtanrechnung zurückverlangter Unterhaltsvorschussleistungen auf die gesetzliche Höchstdauer führen kann. Der Senat vermag daher auch nicht zu erkennen, inwieweit die Nichtberücksichtigung solcher Zeiten, für die eine Ersatzpflicht nicht nur bestandskräftig festgesetzt, sondern auch erfüllt worden ist, geeignet sein könnte, die Motivation für die alleinerziehenden Elternteile zur Befolgung der Anzeigepflicht nach § 6 Abs. 4 UVG zu mindern.
Die Ersatzpflicht muss nicht für den gesamten Ersatzzeitraum in vollem Umfange erfüllt sein, um eine anteilige Nichtanrechnung für einzelne Zeitabschnitte zu bewirken. Das Berufungsgericht ist für den Fall der nur teilweisen Erfüllung der Ersatzpflicht zutreffend davon ausgegangen, dass die Erfüllungsleistungen zeitabschnittsweise zuzuordnen sind und nur für die Zeiträume einer Anrechnung entgegenstehen, für welche die Teilleistungen jeweils der Höhe der gewährten Leistungen entsprechen. Die vom Berufungsgericht bestätigte Berechnung des Verwaltungsgerichts, das zu Recht auch eine in der Vergangenheit bewirkte Überschreitung der Leistungshöchstdauer berücksichtigt hat, steht danach im Einklang mit Bundesrecht.
2.3
Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis schließlich darin zuzustimmen, dass die Ersatzpflicht der Mutter durch die Einbehaltung von den Unterhaltsvorschussleistungen des Klägers tatsächlich erfüllt worden ist. Das ist nach den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einvernehmlich abgegebenen Erklärungen zur Tilgungswirkung der Verrechnung zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit ist auch nicht mehr zu vertiefen, welche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, dass der W.-Kreis hier einen dem Kläger zustehenden Anspruch mit einer Ersatzpflicht verrechnet hat, die von seiner Mutter zu erfüllen war und für die es daher an der nach § 52 SGB I tatbestandlich vorausgesetzten Gegenseitigkeit der Ansprüche gefehlt hat. Die wirtschaftliche Rückabwicklung muss ferner - wie wohl auch hier geschehen - nicht im Verhältnis zu dem Leistungsträger erfolgt sein, der auf weitere Leistungen in Anspruch genommen wird.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO . Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO .
Verkündet am 26. Januar 2011