BGH, Beschluss vom 24.11.2009 - Aktenzeichen VII ZR 31/09
Vorbehalt des Bestreitens für das Berufungsverfahren durch Unstreitigstellung eines Sachverhalts für die erste Instanz
Eine Partei kann sich ein Bestreiten nicht dadurch für das Berufungsverfahren vorbehalten, dass sie einen Sachverhalt lediglich "für die erste Instanz" unstreitig stellt.
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO ).
Gegenstandswert: 28.541,90 EUR
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unbegründet.
1.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten restlichen Werklohn. Der Beklagte fordert widerklagend die Zustimmung der Klägerin zur Löschung von Vormerkungen für die Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek. Er hat u.a. mit einer Vertragsstrafe aufgerechnet und wegen Mängeln Zurückbehaltungsrechte geltend gemacht. Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 16.772,77 EUR nebst Zinsen und zur Zahlung weiterer 6.540 EUR Zug um Zug gegen Beseitigung von Mängeln verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat es die Widerklage insgesamt abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.
2.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich u.a. dagegen, dass das Berufungsgericht das zweitinstanzliche Bestreiten der der Werklohnermittlung zugrunde liegenden Mengen und Massen nicht zugelassen hat. Nach anfänglichem Streit über die abgerechneten Mengen und Massen haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Landgericht erklärt, sie seien sich dahin einig, "dass in ein Urteil als der Klägerin an sich zustehende Forderung eine solche von 28.100,00 EUR einzusetzen ist und damit der Mengen und Massenstreit abgegolten ist und zwar für diese Instanz". Das Landgericht hat den der Klägerin zustehenden restlichen Werklohn auf der Grundlage dieser Einigung der Parteien ermittelt. In der Berufungsinstanz hat der Beklagte die Mengen und Massen erneut bestritten. Das Berufungsgericht hat dies als neuen Vortrag gewertet und diesen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde vertritt die Auffassung, die Festlegung eines Sachverhalts lediglich für die erste Instanz ergebe nur dann einen Sinn, wenn der Sachverhalt in veränderter Form in der zweiten Instanz wieder aufgerufen werden könne. Die erste Instanz dürfe daher auch nicht mit Zustimmung der Parteien einen Sachverhalt fixieren und damit gleichzeitig der unterlegenen Partei in der Berufungsinstanz die Möglichkeit abschneiden, dieses Ergebnis in Frage zu stellen. Sie sieht insoweit Klärungsbedarf.
2.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Ein Grund die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO ) besteht nicht.
a)
Soweit das Berufungsgericht das Vorbringen des Beklagten, mit dem er sich gegen die von der Klägerin abgerechneten Mengen und Massen gewandt hat, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen hat, bedarf es der Zulassung weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch zur Fortbildung des Rechts. Die vom Berufungsgericht dargestellte Rechtslage ergibt sich unter Berücksichtigung der Funktion des Berufungsverfahrens ohne weiteres aus dem Gesetz.
Die Berufung hat durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) einen Funktionswechsel erfahren. Sie ist nicht mehr vollwertige zweite Tatsacheninstanz, sondern dient in erster Linie der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils auf korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen und Beseitigung etwaiger Fehler. Die Reform hat zur Folge, dass sich die Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts noch mehr auf die erste Instanz konzentriert. Die Konzentration der Tatsachenfeststellungen in erster Instanz wird dadurch bewirkt, dass das Berufungsgericht grundsätzlich an die fehlerfrei gewonnenen Erkenntnisse der ersten Instanz gebunden wird und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen sind, soweit dies durch besondere Gründe gerechtfertigt ist. Von den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten wird erwartet, dass sie mit aller Sorgfalt in der ersten Instanz vortragen, um so die Konzentration der Tatsachenfeststellungen in der ersten Instanz zu verwirklichen (vgl. BT-Drucks. 14/4772, S. 61, 64, 100 f.).
Unterbreiten die Parteien dem Gericht einen unstreitigen Sachverhalt und legt das erstinstanzliche Gericht deshalb diesen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde, hat das Berufungsgericht ebenfalls davon auszugehen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO . Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die unstreitigen Tatsachen (BGH, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 , 299, 300). Neue, von dem unstreitigen Vortrag abweichende Tatsachen sind vom Berufungsgericht nur zu berücksichtigen, soweit dies zulässig ist, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO . Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Vortrag des Beklagten zu den Mengen und Massen gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen ist. Nachdem der Beklagte die Mengen und Massen unstreitig gestellt hat, war sein Bestreiten in zweiter Instanz ein neues Verteidigungsmittel. Maßgebend ist, ob das Bestreiten bei der gebotenen Sorgfalt bereits in erster Instanz hätte erfolgen können. Bei dieser Prüfung dürfen die Anforderungen zwar nicht überspannt werden, jedoch ist auch auf den Zweck der Bestimmung des § 531 Abs. 2 ZPO Bedacht zu nehmen, dass der entscheidungsrelevante Sach- und Streitstoff bereits in erster Instanz vollständig unterbreitet werden soll (BT-Drucks. 14/4722, S. 101 f.). Mit dieser Zweckbestimmung wäre es nicht vereinbar, wenn die Parteien einen Sachverhalt erstinstanzlich mit dem wirksamen Vorbehalt unstreitig stellen könnten, das anfängliche Bestreiten in der Berufungsinstanz wieder aufnehmen zu können. Die vom Gesetzgeber gewollte Konzentration der Tatsachenfeststellung auf die erste Instanz zwingt die Parteien, grundsätzlich bereits in erster Instanz alles vorzutragen, was aus ihrer Sicht für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich ist. Sie dürfen nicht aus prozesstaktischen Gründen auf einen derartigen Vortrag verzichten. Tun sie es dennoch, stellt dies eine Nachlässigkeit dar, welche die Berücksichtigung dieses Vorbringens im Berufungsverfahren ausschließt.
Ob das Landgericht, wenn es in der mündlichen Verhandlung eine Einigung der anwaltlich vertretenen Parteien darüber protokolliert, dass für die erste Instanz Vortrag unstreitig gestellt wird, darauf hinweisen muss, dass der mit dieser Einigung möglicherweise verfolgte Zweck, im Berufungsverfahren den Streit über die unstreitig gestellten Tatsachen wieder aufzunehmen, nicht erreichbar ist, kann dahinstehen. Soweit die Ausführungen der Nichtzulassungsbeschwerde so zu verstehen sein sollten, dass die Nichterteilung eines entsprechenden richterlichen Hinweises beanstandet wird, rechtfertigt dies die Zulassung der Revision wegen fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht, da die Rüge nicht hinreichend ausgeführt ist.
b)
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, zweiter Halbsatz ZPO ).