BGH, Urteil vom 01.06.2006 - Aktenzeichen I ZR 143/03
"Erbenermittler als Rechtsbeistand" - Zu den Befugnissen eines als Rechtsbeistand in Nachlassangelegenheiten zugelassenen Erbenermittlers
»Einem als Rechtsbeistand in Nachlassangelegenheiten zugelassenen Erbenermittler ist es nicht verwehrt, dem von ihm ermittelten Erben die zur Nachlassabwicklung gebotenen rechtsbesorgenden Tätigkeiten unaufgefordert anzubieten.«
Tatbestand:
Der Beklagte ist als Erbenermittler tätig. Er ist Diplom-Kaufmann und hat die Erlaubnis des Präsidenten des Landgerichts Baden-Baden zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten als Rechtsbeistand in Nachlassangelegenheiten. Im Rahmen seiner Ermittlungen zur Auffindung der Erben der verstorbenen Frau Selma M. geb. C. richtete er am 28. September 2000 an Heinz C. in Berlin ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:
Sehr geehrter Herr C.
Vielen Dank für Ihren Brief vom 23. d. M.. Es freut mich, dass es somit doch noch gelungen ist, einen Angehörigen zu ermitteln. Ich gestatte mir, Ihnen folgendes mitzuteilen:
Ich unterhalte ein Büro, welches sich seit Anfang des vorigen Jahrhunderts mit der Erbenermittlung und der Abwicklung von Nachlaßangelegenheiten befaßt. Zu diesem Zweck stehe ich mit Korrespondenten im In- und Ausland, auch in den Überseegebieten in Verbindung. Darüber hinaus habe ich ein Archiv mit zahlreichen für die Erbenermittlung nützlichen Unterlagen aufgebaut.
Aufgrund der vielfältigen mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Erbenermittlung werde ich immer wieder von Gerichten, Nachlaßpflegern und anderen Beteiligten gebeten, bei der Erbenermittlung behilflich zu sein.
Zum Nachlaß der Selma M. geb. C. gehört Grundbesitz. Nach dem vorliegenden Grundbuchauszug handelt es sich um 905 m², möglicherweise um einen Bauplatz.
In der Anlage übersende ich Ihnen je zwei Honorarvertrags- und Vollmachtsformulare mit der Bitte, je ein Exemplar unterzeichnet zurückzusenden. Die Zweitschriften sind für Ihre Unterlagen bestimmt. Bemerken möchte ich, daß mit dem Honorar von 25 % plus Mehrwertsteuer, welches erst und vor allen Dingen nur bei Auszahlung des Ihnen zustehenden Anteiles an dem Nachlaß fällig wird, sämtliche mir bei den bisherigen umfangreichen Nachforschungen entstandenen und die noch entstehenden Kosten und Auslagen enthalten sind. Vorauszahlung brauchen Sie nicht zu leisten. Meine Aufgabe wird sein, alle zur Durchsetzung des Erbenanspruches erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere:
1. Den verwandtschaftlichen Zusammenhang vollständig zu klären. Ich verweise insofern auf den beigefügten Fragebogen. Nachforschungen sind nicht erforderlich, Bitte teilen Sie aber alles mit, was Ihnen bekannt ist.
2. Die für den Erbnachweis erforderlichen Personenstandsurkunden zu beschaffen.
3. Den Entwurf des Erbscheinantrages zu erstellen. Ich werde dann den Entwurf einem Notar zur Beurkundung und Unterzeichnung durch einen der Erben übersenden.
4. Den beurkundeten Erbscheinsantrag dem Nachlaßgericht einzureichen. Die Personenstandsurkunden, eine Stammtafel und etwaige sonst noch notwendige Unterlagen werden von mir beigefügt.
5. Abgabe der Erbschaftsteuererklärung. Meine Gebühren werden bei der Veranlagung zur Erbschaftsteuer voll als Nachlaßverbindlichkeit anerkannt, mindern also die Erbschaftsteuer.
6. Den Grundbesitz bestmöglich zu veräußern.
7. Die Verteilung des Kaufpreises durchzuführen bzw. die Auseinandersetzung über den Nachlaß zu betreiben.
Da die Bearbeitung einer derartigen Angelegenheit erst und dann kostspielig wird, wenn nicht ein Bevollmächtigter für alle Erben handeln kann, bitte ich um Verständnis, dass die Bearbeitung davon abhängig gemacht wird, dass ich auch von allen von mir ermittelten Erben Vollmacht und Honorarvertrag erhalte.
Sollten Sie noch irgendwelche Fragen haben, so lassen Sie es mich bitte wissen.
Die Klägerin ist eine Partnerschaftsgesellschaft, deren Mitglieder als Rechtsanwälte in Berlin tätig sind. Sie sieht in dem Schreiben des Beklagten vom 28. September 2000 eine auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtete und daher gemäß § 43b BRAO unzulässige und deshalb auch wettbewerbswidrige Werbung. Die Klägerin hat den Beklagten daher auf Unterlassung in Anspruch genommen und beantragt,
es dem Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs folgende Dienstleistungen anzubieten:
a) den Entwurf des Erbscheinsantrags und die Übersendung des Entwurfs an einen Notar zur Beurkundung und Unterzeichnung durch einen Erben,
b) die Einreichung des beurkundeten Erbscheinsantrags beim Nachlassgericht unter Beifügung der notwendigen Unterlagen,
c) die Abgabe der Erbschaftsteuererklärung,
d) das Betreiben der Auseinandersetzung über den Nachlass,
sofern dies geschieht wie in dem nachfolgend in Ablichtung beigefügten Schreiben vom 28. September 2000 an Herrn Heinz C. :
(Es folgt eine Kopie des Schreibens vom 28. September 2000).
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung des Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt (KG NJW 2003, 2176 ).
Mit ihrer (vom Senat zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Klage für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:
Die Bestimmung des § 1 Abs. 3 der Zweiten Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes (2. AVO RBerG ), die es Rechtsbeiständen untersage, Dritten unaufgefordert Dienste der in Art. 1 § 1 RBerG bezeichneten Art anzubieten, sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass Rechtsbeistände ebenso werben könnten wie Rechtsanwälte. Diesen sei nach § 43b BRAO Werbung erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichte und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet sei. Eine Einzelmandatswerbung liege vor, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der Vertretung bedürfe und der Werbende diesen Umstand zum Anlass für seine Werbung nehme. Das Schreiben des Beklagten vom 28. September 2000 stelle seinem Inhalt nach Werbung für die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall dar. Der Beklagte suche mit ihm die Gelegenheit, sich gegenüber einem möglichen Rechtsuchenden, mit dem bislang kein Mandatsverhältnis bestanden habe, zu präsentieren und ihm Leistungen zur Durchsetzung seines Erbschaftsanspruchs anzubieten. Ein solches Verhalten wäre einem Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand verboten, der die Erbensuche nicht selbst betrieben, sondern zufällig von einer potenziellen Erbenstellung des Angeschriebenen erfahren hätte und diesem nun seine Dienste bei der Nachlassabwicklung anböte.
Der Beklagte handele nicht verbotswidrig, weil er mit dem Schreiben an den von ihm ermittelten Erben unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs seiner Tätigkeit nicht für ein Mandat als Rechtsbeistand, sondern für ein Mandat als Erbenermittler werbe, der als Hilfstätigkeit die Nachlassabwicklung anbiete. Der Erbensucher müsse, um das Ergebnis seiner Recherche verwerten zu können, die ermittelten Erben gezielt ansprechen. Es stellte einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit des Beklagten dar, wenn dieser zwar sowohl die Erbensuche betreiben als auch die Nachlassabwicklung vornehmen, nicht aber um die Erteilung eines entsprechenden Auftrags durch den ermittelten Erben werben dürfte. Der Beklagte habe ein berechtigtes Interesse daran, seine Vorleistungen bei der Ermittlung des Erben durch einen Auftrag zur Nachlassabwicklung amortisieren zu können.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Bestimmung des § 1 Abs. 3 2. AVO RBerG Rechtsbeistände keinem weiterreichenden Werbeverbot unterwirft, als § 43b BRAO es Rechtsanwälten auferlegt (vgl. OLG Karlsruhe Rbeistand 1995, 49, 50; KG NJW 2001, 3132 ; Rennen/Caliebe, RBerG , 3. Aufl., 2. AVO, § 1 Rdn. 31; Weth in Henssler/Prütting, BRAO , 2. Aufl., RBerG , 2. AVO, § 1 Rdn. 24; vgl. auch Chemnitz/Johnigk, RBerG , 11. Aufl. Rdn. 1180; weitergehend Kleine-Cosack, RBerG , 2. AVO, § 1 Rdn. 6, wonach das Werberecht der Inhaber von Erlaubnissen nach dem Rechtsberatungsgesetz mangels einer verfassungskonformen Beschränkung allein durch die allgemeinen Bestimmungen des UWG begrenzt wird).
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Selbstdarstellung des Rechtsberaters die Grenze des Zulässigen überschreitet, sind Anlass und Art der Werbung maßgebliche Kriterien. Die besonderen Umstände des Streitfalls liegen darin, dass die dem Rechtsbeistand erlaubte Rechtsbesorgung zur Nachlassabwicklung anknüpft an seine gewerbliche Tätigkeit, den Erben des Nachlasses zu ermitteln. Das in § 1 Abs. 3 2. AVO RBerG normierte Verbot, wonach es Inhabern von Erlaubnissen zur Rechtsberatung verwehrt ist, ihre Dienste unaufgefordert Dritten anzubieten, erfährt im Streitfall eine verfassungsrechtlich (Art. 12 Abs. 1 GG ) gebotene Einschränkung. Dem Beklagten ist es gestattet, dem von ihm ermittelten Erben seine rechtsbesorgenden Dienste zur Abwicklung des Nachlasses unaufgefordert anzubieten.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass die vom Beklagten angebotene Nachlassabwicklung mit Rechtsbesorgung ein sachgerechter und für eine wirtschaftlich sinnvolle Betätigung auch nicht verzichtbarer Annex zu der den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildenden Erbensuche ist. In seinem Gewerbe als Erbenermittler ist der Beklagte lediglich den allgemeinen Werberegeln des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb unterworfen. Zu einer wirtschaftlich vernünftigen Betätigung als Erbenermittler rechnet auch, dass dieser mit dem Erben in geschäftlichen Kontakt kommt, der sich sinnvollerweise auf die mit der Nachlassabwicklung zusammenhängenden Tätigkeiten erstreckt. Eine dabei anfallende rechtsbesorgende Tätigkeit rechtfertigt das Verbot der Kontaktaufnahme nicht.
Des Weiteren ist das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung mit Recht davon ausgegangen, dass dem Erbensucher für die je nach den Umständen des Einzelfalls mehr oder weniger zeit- und kostenaufwändige Tätigkeit, die er entfaltet hat, um einen bislang unbekannten Erben zu ermitteln, kein Vergütungsanspruch zusteht, wenn ihm kein entsprechender Auftrag erteilt worden ist. Er hat gegen den ermittelten Erben insbesondere keine Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und aus ungerechtfertigter Bereicherung (vgl. BGH, Urt. v. 23.9.1999 - III ZR 322/98, NJW 2000, 72 f.; BGH, Urt. v. 13.3.2003 - I ZR 143/00, GRUR 2003, 886, 888 = WRP 2003, 1103 - Erbenermittler; BGH, Beschl. v. 23.2.2006 - III ZR 209/05, NJW-RR 2006, 656 Tz 5 m.w.N.). Der Erbenermittler ist daher, wenn er nicht lediglich darauf hoffen will, dass ihm der ermittelte Erbe in Anerkennung seiner erfolgreichen Bemühungen freiwillig eine Art "Finderlohn" zukommen lässt, darauf angewiesen, seine Vorleistungen bei der Erbringung weiterer Dienste für den Erben gewinnbringend zu verwerten. Seine Dienste werden regelmäßig - je nach den Umständen des Einzelfalls mehr oder weniger - neben erlaubnisfrei auszuführenden geschäftsbesorgenden Tätigkeiten rein wirtschaftlicher Art auch solche Tätigkeiten betreffen, die teilweise oder ganz auf rechtlichem Gebiet liegen. Dementsprechend würde der Beklagte durch das von der Klägerin erstrebte Verbot, den von ihm ermittelten Erben bei der Nachlassabwicklung andere als geschäftsbesorgende Tätigkeiten in dem zuerst genannten Sinne anzubieten, d.h. rechtsbesorgende Tätigkeiten von seinem unaufgefordert abgegebenen Leistungsangebot auszunehmen, bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit unverhältnismäßig beeinträchtigt.
III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.