BGH, Beschluß vom 05.07.2005 - Aktenzeichen VII ZB 14/05
Voraussetzungen der Sicherungsvollstreckung; Zustellung der Vollstreckungsklausel
»Für die Sicherungsvollstreckung nach § 720a , 750 Abs. 3 ZPO bedarf es der Zustellung der Vollstreckungsklausel nur in den Fällen des § 750 Abs. 2 ZPO .«
Gründe:
I. Der Schuldner wurde durch ein vorläufig vollstreckbares, seinem anwaltlichen Vertreter am 27. Oktober 2003 von Amts wegen in einfacher Ausfertigung zugestelltes Urteil des Landgerichts F. zur Zahlung von 3.942.753,97 EUR nebst Zinsen an die Gläubigerin verurteilt. Diese betreibt aus dem Titel wegen einer Teilforderung von 1 Mio. EUR die Sicherungsvollstreckung. Der zuständige Gerichtsvollzieher stellte dem Schuldner am 24. Januar 2004 eine ungeheftete, einfache Kopie des Urteils und der am 29. Oktober 2003 erteilten Klausel zu. Die Gläubigerin erwirkte einen Pfändungsbeschluß vom 18. Februar 2004, der verschiedene Forderungen des Schuldners gegen die Drittschuldnerinnen zum Gegenstand hat. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Seine sofortige Beschwerde hatte mit der Maßgabe Erfolg, daß die Aufhebung des Pfändungsbeschlusses erst mit der Rechtskraft der landgerichtlichen Entscheidung Wirksamkeit erlangen sollte. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Gläubigerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.
II. Das Rechtsmittel ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig. Es ist in der Sache begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Nach dem klaren Wortlaut des § 750 Abs. 3 ZPO und der mit dieser Vorschrift zugunsten des Schuldners verbundenen Schutzfunktion dürfe die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn außer dem Titel auch die einfache Vollstreckungsklausel mindestens zwei Wochen vorher zugestellt worden sei. Die Zustellung einer einfachen Kopie der ungehefteten Entscheidung genüge dafür nicht, weil bereits der Bezug zwischen dem abgelichteten Titel und der Klausel, die auch von einem anderen Titel stammen könne, nicht zweifelsfrei erkennbar werde. Im übrigen fehle es der einfachen Kopie an der amtlichen Bestätigung, daß es sich um eine der Urschrift gleichkommende Ausfertigung handele. Eine Heilung nach § 189 ZPO scheide aus. Diese Bestimmung betreffe nur die Art und Weise der Zustellung, nicht aber das zuzustellende Schriftstück selbst, das als Gegenstand der Zustellung hier nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe.
Dem hält die Rechtsbeschwerde entgegen, der Schutz- und Warnfunktion des § 750 Abs. 3 ZPO könne durch die Übersendung einer einfachen Abschrift der vollstreckbaren Urteilsausfertigung genügt werden. Zudem seien Titel und Klausel dem Schuldner am 24. Januar 2004 nicht zeitlich und inhaltlich getrennt, sondern mit einer Sendung und in einem Umschlag zugestellt worden. Für ihn sei dadurch ohne weiteres erkennbar geworden, daß sich die Klausel auf den Titel beziehe. Auf eine formale Verbindung mittels Heft- oder Büroklammer könne es nicht ankommen. Jedenfalls sei der Zustellungsmangel geheilt worden. Die Wirkungen des § 189 ZPO erstreckten sich auch auf solche Mängel, die dem zuzustellenden Schriftstück selbst anhafteten; Sinn und Zweck des Zustellungserfordernisses würden dadurch hinreichend gewahrt. Zudem sei dem Schuldner am 28. Juli 2004 - nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung und vor Einlegung der Rechtsbeschwerde - eine mit Beglaubigungsvermerk versehene vollstreckbare Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils zugestellt worden; spätestens zu diesem Zeitpunkt sei es zur Heilung gekommen.
2. Dem Beschwerdegericht ist bereits darin nicht zuzustimmen, daß Voraussetzung für die Sicherungsvollstreckung eine Zustellung auch der Klausel gewesen ist. Auf die Frage, ob und mit welchen Rechtswirkungen durch die Zustellung vom 28. Juli 2004, deren Vollständigkeit und Ordnungsgemäßheit sich aus den von der Gläubigerin beigebrachten Unterlagen nicht nachvollziehen läßt, oder durch die frühere Zustellung eine Heilung nach § 189 ZPO eingetreten ist, kommt es mithin nicht an.
a) Die Vorschrift des § 750 Abs. 1 und 2 ZPO , die für alle Arten der Zwangsvollstreckung gilt, legt die allgemeinen Voraussetzungen fest, unter denen die Vollstreckung beginnen darf. Dazu gehört nach ihrem Absatz 1 die Zustellung des zu vollstreckenden Titels. Diese ist am 27. Oktober 2003 von Amts wegen an den damaligen Prozeßbevollmächtigten des Schuldners bewirkt (§§ 317 Abs. 1 , 172 Abs. 1 ZPO ) und auf dem Titel bescheinigt (§ 169 Abs. 1 ZPO ) worden. Eine gesonderte Parteizustellung oder eine Zustellung auch der Klausel war nicht erforderlich. Letztere wird vom Gesetz nur verlangt, wenn eine titelergänzende oder titelumschreibende Klausel besonderer Prüfung bedarf und als qualifizierte Klausel nicht vom Urkundsbeamten, sondern vom Rechtspfleger gemäß den in § 750 Abs. 2 ZPO im einzelnen angeführten Vorschriften erteilt wird.
Mit der Vollstreckung aus einem Titel, der nur mit einer einfachen Klausel zu versehen ist und von dessen Existenz er spätestens durch die Zustellung erfährt, muß der Schuldner ohne weiteres rechnen. Das zeigt die Vorschrift des § 708 ZPO : Ist ein Titel für den Gläubiger ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, kann dieser daraus vollstrecken, ohne zusätzliche Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Lediglich in den Fällen der §§ 711 , 712 ZPO ist er für die Dauer der Abwendungsbefugnis des Schuldners auf eine sicherungsweise Vollstreckung beschränkt, ohne sich aus dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung befriedigen zu dürfen (§ 720 ZPO ). Der Schuldner hat Gelegenheit, Sicherheit zu erbringen und dadurch den endgültigen Zugriff auf sein Vermögen zu verhindern. Das betrifft jedoch allein den Ablauf einer bereits begonnenen Zwangsvollstreckung und berührt nicht deren Voraussetzungen, die sich ausschließlich nach § 750 Abs. 1 und 2 ZPO bestimmen. Es genügt danach die Zustellung des Titels, dessen Vollstreckungsreife für den Schuldner auch ohne (einfache) Klausel erkennbar ist. Nur wenn er die Vollstreckungsreife nicht dem Titel selbst entnehmen kann, ist nach § 750 Abs. 2 ZPO die Zustellung auch der (qualifizierten) Klausel nebst der zugehörigen öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden geboten. Der Schuldner erfährt dann auf diese Weise, daß die nach dem ursprünglichen Titel noch nicht oder jedenfalls nicht für diesen Gläubiger gegebene Vollstreckungsreife nunmehr eingetreten ist (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 750 ZPO Rdn. 28).
b) Dieses vollstreckungsrechtliche System gilt grundsätzlich auch für Titel, die für den Gläubiger nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind. Allerdings tritt neben die allgemeinen Voraussetzungen als besondere Bedingung für den Vollstreckungsbeginn gemäß § 751 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Sicherheitsleistung durch eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nebst der Zustellung einer Abschrift dieser Urkunde. Dem Gläubiger ist aber auch hier die Möglichkeit einer Sicherungsvollstreckung eröffnet. Aus einem nur gegen Sicherheit vorläufig vollstreckbaren Urteil, durch das der Schuldner zur Leistung von Geld verurteilt worden ist, darf er die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung insoweit betreiben, als bewegliches Vermögen gepfändet oder im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen eine Sicherungshypothek oder Schiffshypothek eingetragen wird; eine Befriedigung aus dem belasteten Gegenstand ist ihm hingegen bis zur Leistung der Sicherheit verwehrt (§ 720a Abs. 1 ZPO ). Der Schuldner seinerseits ist befugt, die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit wegen des Hauptanspruchs abzuwenden, wegen dessen der Gläubiger vollstrecken kann, wenn dieser nicht vorher die ihm obliegende Sicherheit geleistet hat (§ 720a Abs. 3 ZPO ).
c) Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift des § 750 Abs. 3 ZPO zu sehen. Sie bestimmt zwar ihrem Wortlaut nach, daß "das Urteil und die Vollstreckungsklausel" mindestens zwei Wochen vor Beginn der Zwangsvollstreckung zuzustellen sind. Das bedeutet - entgegen der in der Rechtsprechung der Obergerichte und von einem Teil der Literatur vertretenen Ansicht ( SchlHOLG NJW-RR 1988, 700; KG Rpfleger 1988, 359; OLG Hamm Rpfleger 1989, 378; OLG Stuttgart NJW-RR 1989, 1535 ; OLG Karlsruhe DGVZ 1990, 186; HansOLG Bremen InVo 1997, 19; OLG Düsseldorf DGVZ 1997, 42; Zöller/Stöber, ZPO , 25. Aufl., § 720a Rdn. 4; Thomas/Putzo, ZPO , 25. Aufl., § 750 Rdn. 18 und § 720a Rdn. 4; Musielak/Lackmann, ZPO , 3. Aufl., § 720a Rdn. 2 und § 750 Rdn. 23; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO , 62. Aufl., § 750 Rdn. 23; MünchKommZPO-Heßler, 2. Aufl., § 750 Rdn. 89; MünchKomm- ZPO -Krüger, 2. Aufl., § 720a Rdn. 3; Fahlbusch, Rpfleger 1979, 94; Seip, Rpfleger 1983, 56) - indes nicht, daß bei der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO in Abweichung von den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen des § 750 Abs. 1 und 2 ZPO die Zustellung (auch) der einfachen Klausel Voraussetzung für den Beginn der Zwangsvollstreckung ist. Das ergäbe einen Wertungswiderspruch zur Sicherungsvollstreckung gemäß § 720 ZPO , der für die genannten Fälle der §§ 711 Satz 1, 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Anwendung kommt, wobei § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO sogar ausdrücklich auf die Regelungen über die Sicherungsvollstreckung in § 720a Abs. 1 und 2 ZPO verweist. Es wäre nicht einzusehen, weshalb für die Sicherungsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen jeweils unterschiedliche allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen gelten sollten.
Durch die Regelung des § 750 Abs. 3 ZPO wird dem Gläubiger daher nur eine Wartefrist von zwei Wochen auferlegt, die sich mit Blick auf die besondere Vollstreckungsbedingung des § 751 Abs. 2 ZPO rechtfertigt, von der der Gläubiger befreit ist, und die dem Schuldner Gelegenheit geben soll, die nach § 720a Abs. 1 und 2 ZPO auch ohne Sicherheitsleistung durch den Gläubiger statthafte Sicherungsvollstreckung abzuwenden. Ihr Wortlaut erklärt sich daraus, daß sie nicht isoliert zu betrachten ist, sondern im Zusammenhang mit § 750 Abs. 1 und 2 ZPO steht. Die Wartefrist berechnet sich ab Zustellung (nur) des Urteils oder (auch) der Klausel, je nachdem, ob § 750 ZPO in seinem Abs. 1 oder Abs. 2 zur Anwendung kommt (im Ergebnis ebenso: LG Frankfurt am Main Rpfleger 1982, 296; LG Wuppertal JurBüro 1984, 939; LG Verden MDR 1985, 330 ; LG Münster JurBüro 1986, 939 mit zustimmender Anmerkung Mümmler; Schuschke/Walker, aaO., § 750 Rdn. 31 und § 720a Rdn. 3; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 750 Rdn. 5 Fn. 9; ders, Rpfleger 1983, 58; Wieczorek/Heß, ZPO , 3. Aufl. § 720a Rdn. 8; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. S. 63; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungsrecht, S. 172 Fn. 10). Einer zusätzlichen "Signalwirkung" (vgl. SchlHOLG aaO.; OLG Stuttgart aaO.; MünchKommZPO-Heßler, aaO.) für den Schuldner, der einen rechtzeitigen Hinweis darauf erhalten soll, daß der Gläubiger die Möglichkeit der Sicherungsvollstreckung tatsächlich nutzen will, oder einer besonderen Ankündigung der Vollstreckung (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO.) bedarf es für § 720a ZPO nicht; beides ist vom Gesetz in dieser Form nicht vorgesehen. Es handelt sich um ein allgemeines Prinzip der Zwangsvollstreckung, daß der Gläubiger aufgrund des Titels auch ohne vorherige Sicherungsleistung das Schuldnervermögen arrestieren kann; auf diese Möglichkeit muß sich der Schuldner einstellen (vgl. Wieczorek/Heß, aaO.). Seinen Interessen wird dadurch genügt, daß der Gläubiger zwei Wochen abwarten muß, bevor er mit der Sicherungsvollstreckung aus dem Titel beginnen kann. Das ändert indes nichts daran, daß sich die allgemeine Vollstreckungsreife des Titels nach § 750 Abs. 1 und 2 ZPO beurteilt.
d) Nur dieses Ergebnis entspricht der Intention des Gesetzgebers bei Einführung des § 720a ZPO . Ihm ging es darum, dem in erster Instanz obsiegenden Gläubiger die Durchsetzung des vorläufig vollstreckbaren Urteils zu erleichtern. Deshalb hat er einerseits den Kreis der ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Urteile erweitert (§ 708 ZPO ) und dem Gläubiger andererseits durch eine zusätzliche Regelung - die des § 720a ZPO - ermöglicht, schon vor einer erforderlichen eigenen Sicherheitsleistung Maßregeln der Zwangsvollstreckung insoweit zu betreiben, als sie zur Vollziehung eines Arrestes ergriffen werden können. Damit wollte er dem Bedürfnis des Gläubigers Rechnung tragen, seine Ansprüche ohne Rücksicht auf einen vom Schuldner ergriffenen Rechtsbehelf durchzusetzen oder jedenfalls zu sichern und damit der Gefahr eines Vermögensverfalls des Schuldners, die mit der Dauer des Verfahrens wächst, zu begegnen (Begründung des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren; BT-Drucks. 7/2729 S. 44 f., 109 f.). Der in § 750 ZPO neu eingefügte Absatz 3 macht die Vollstreckung von dem Ablauf einer zweiwöchigen Wartefrist abhängig. Der Gesetzgeber hielt diese Frist für geboten, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, die zur Abwendung erforderliche Sicherheitsleistung zu erbringen. Daß zusätzlich die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen verschärft werden sollten, lassen die Gesetzgebungsmaterialien nicht erkennen; dies liefe auch dem Ziel des Gesetzgebers zuwider, die Vollstreckung zu erleichtern. Daß der ursprüngliche Regierungsentwurf von der Zustellung der "vollstreckbaren Ausfertigung" spricht, steht dem nicht entgegen. Denn im Bericht des Rechtsausschusses ist eine redaktionelle Anpassung vorgeschlagen worden (BT-Drucks. 7/5250 S. 16, 65). Die Anregung ist mit Blick auf § 750 Abs. 2 ZPO erfolgt, aus dem hervorgeht, daß nur die Zustellung der qualifizierten Klausel Voraussetzung für den Vollstreckungsbeginn ist. Der Vorschlag des Rechtsausschusses ist in § 750 Abs. 3 ZPO übernommen worden, so daß sich die Wartefrist ab Zustellung des Urteils und - falls erforderlich - der Klausel berechnet. Weitere, von § 750 Abs. 1 und 2 ZPO abweichende Vollstreckungsvoraussetzungen sind der Vorschrift nicht zu entnehmen.
Hinweise:
Anmerkung Winfried Schuschke BGHReport 2005, 1282