BGH, Beschluß vom 20.07.2005 - Aktenzeichen XII ZB 21/99
Berücksichtigung von Ausbildungs- und sonstigen Zeiten beim Versorgungsausgleich
»1. Zur ruhegehaltfähigen Dienstzeit (§ 1587 a Abs. 2 Nr. 1 BGB ) zählen auch Ausbildungs- und sonstige Zeiten, die nach §§ 11 , 12 BeamtVG zu berücksichtigen sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dies für den Ehegatten des Beamten günstig oder ungünstig ist, und ob die beamtenrechtlich vorgeschriebene Entscheidung der zuständigen Behörde ergangen oder auch nur beantragt ist.2. Soweit in Betracht kommt, daß die Berücksichtigung von Ausbildungs- und sonstigen Zeiten nach pflichtgemäßem Ermessen unterbleiben kann, darf das Gericht nach allgemeinen Grundsätzen dem Ermessen der für die Entscheidung nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständigen Behörde nicht vorgreifen. Dies gilt auch insoweit, als die nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden hat, wie der dem Umfang nach feststehende Zeitraum, der als ruhegehaltfähig anerkannt werden kann, auf den Gesamtzeitraum, der als ruhegehaltfähig in Betracht kommt, zu verteilen ist (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 22. Juni 1983 - XII ZB 35/82 - FamRZ 1983, 999 ).«
Gründe:
I. Die Parteien haben am 20. April 1979 geheiratet. Der Scheidungsantrag der Ehefrau (Antragstellerin; geboren am 12. Februar 1955) ist dem Ehemann (Antragsgegner; geboren am 27. Mai 1953) am 3. Juli 1997 zugestellt worden. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat die Ehe geschieden (insoweit rechtskräftig) und den Versorgungsausgleich dahin geregelt, daß es im Wege des Splittings nach § 1587 b Abs. 1 BGB vom Versicherungskonto des Antragsgegners bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; weitere Beteiligte zu 2) auf das Versicherungskonto der Antragstellerin bei der BfA Rentenanwartschaften in Höhe von (berichtigt) monatlich 296,14 DM, bezogen auf den 30. Juni 1997, übertragen hat. Ferner hat es im Wege des Quasi-Splittings nach § 1587 b Abs. 2 zu Lasten der Versorgung des Antragsgegners bei dem Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung (LBV; weiterer Beteiligter zu 1) auf dem Versicherungskonto der Antragstellerin bei der BfA Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 1.068,38 DM, bezogen auf den 30. Juni 1997, begründet.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des LBV hat das Oberlandesgericht die Entscheidung dahingehend abgeändert, daß der Ausgleichsbetrag im Wege des Splittings 252,47 DM und im Wege des Quasisplittings 789,52 DM beträgt. Dabei ist das Oberlandesgericht nach den Auskünften der weiteren Beteiligten zu 2 von ehezeitlichen (1. April 1979 bis 30. Juni 1997; § 1587 Abs. 2 BGB ) Anwartschaften der Antragstellerin bei der BfA in Höhe von 278,11 DM, monatlich und bezogen auf den 30. Juni 1997, ausgegangen. Die betrieblichen Rentenanwartschaften des Antragsgegners bei der H. AG hat das Oberlandesgericht anhand der Barwert-Verordnung dynamisiert und mit monatlich 31,42 DM dem Versorgungsausgleich zugrunde gelegt. Abweichend von der Auskunft des LBV hat das Oberlandesgericht den Ehezeitanteil der beamtenrechtlichen Versorgungsanrechte des Antragsgegners nicht mit 1.946,34 DM, sondern mit 1.579,04 DM ermittelt. Schließlich ist es nach einer fiktiven Auskunft der BfA von ehezeitlichen Anwartschaften des Antragsgegners bei der BfA in Höhe von 751,63 DM, bezogen auf das Ende der Ehezeit, ausgegangen.
Dagegen richtet sich die zugelassene weitere Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie den Versorgungsausgleich den gesetzlichen Bestimmungen gemäß durchgeführt wissen möchte. Der Antragsgegner, das LBV und die BfA haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II. Die nach §§ 629 a Abs. 2 Satz 1, 621 e Abs. 2 Satz 1 i.V. mit 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 ZPO a.F. zulässige weitere Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Anwartschaften des Antragsgegners aus der Beamtenversorgung seien durch Quasi-Splitting nach § 1587 b Abs. 2 BGB auszugleichen. Bei der Bestimmung des Ehezeitanteils seien insoweit die Feststellung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit und ihre zeitliche Zuordnung problematisch. Ruhegehaltfähig sei vorliegend nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG die Zeit, in der der Antragsgegner Zeitsoldat gewesen sei. Nach § 12 Abs. 1 BeamtVG könne darüber hinaus die Studienzeit des Antragsgegners bis zur Höchstdauer von drei Jahren, ferner nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundeswehrhochschule und der Universität Ha. berücksichtigt werden. Schließlich könne nach § 67 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG die Zeit des Antragsgegners als Angestellter bei der H. AG berücksichtigt werden. Daß der Antragsgegner einen Antrag auf Berücksichtigung ruhegehaltfähiger Vordienstzeiten bisher nicht gestellt habe, sei unerheblich. Das LBV habe zutreffend ermittelt, daß von den als ruhegehaltfähig in Betracht kommenden Zeiten vor Beginn des Beamtenverhältnisses nur 8 Jahre und 273 Tage als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden könnten, weil es sonst zu einer Doppel- bzw. Überversorgung käme. Das LBV habe in seiner Auskunft vom 27. April 1998 mit Ausnahme der Soldatenzeit, hinsichtlich der kein Ermessen besteht, in Ausübung seines Ermessens die dem Beamtenverhältnis nächsten, also unmittelbar vorangehenden Zeiten als ruhegehaltfähig zugrunde gelegt, nämlich die Zeit vom 23. Februar 1982 bis zum 30. November 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Ha. und die Zeit vom 9. Juni 1987 bis zum 31. August 1991 als Angestellter der H. AG. Demgegenüber sei nach Auffassung des Oberlandesgerichts die Studienzeit mit drei Jahren als ruhegehaltfähig zu berücksichtigen, denn die Zeit, die der Antragsgegner bei der H. AG gearbeitet habe, könne für die Zwecke des Versorgungsausgleichs nicht als ruhegehaltfähig herangezogen werden. Denn in dieser Zeit habe der Antragsgegner neben Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auch die Betriebsrentenanwartschaften erworben. Würde man die Zeit bei der H. AG als ruhegehaltfähig ansehen, so müßte der Antragsgegner für denselben Zeitraum neben Anwartschaften auf Beamtenversorgung auch Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Betriebsrentenanwartschaften ausgleichen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts führe dies zu einer unangemessenen Belastung des Antragsgegners durch die Ausgleichspflicht. Da die Betriebsrentenanwartschaften dazu führten, daß nicht alle Vordienstzeiten uneingeschränkt als ruhegehaltfähig anerkannt werden könnten, liege es nahe, die Zeit, in der die Betriebsrentenanwartschaften erworben wurden, von der Berücksichtigung als ruhegehaltfähig auszunehmen. Da dann ohnehin ein Teil der Studienzeit als ruhegehaltfähig anerkannt werden müsse, sei das nach Auffassung des Oberlandesgerichtes nur sinnvoll, wenn man die Studienzeit insgesamt mit der Höchstdauer von drei Jahren anerkenne. Da die Parteien während der Studienzeit des Antragsgegners geheiratet hätten, ergäbe sich damit ein geringerer Ehezeitanteil von lediglich 1.579,04 DM. Dabei sei die jährliche Sonderzuwendung nicht aus der Ruhegehaltanwartschaft abzuspalten und auch nicht als nicht-dynamische Teilanwartschaft zu behandeln.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.
2. a) Zutreffend geht das Oberlandesgericht davon aus, daß die Sonderzuwendung nicht aus der Ruhegehaltsanwartschaft abzuspalten und nicht eigens zu dynamisieren ist (vgl. Senatsbeschluß vom 3. Februar 1999 - XII ZB 124/98 - FamRZ 1999, 713 ; zur Anwendung des jeweils zur Zeit der Entscheidung geltenden Bemessungsfaktors vgl. zuletzt Senatsbeschluß vom 4. September 2002 - XII ZB 130/98 - FamRZ 2003, 437 ff. m.w.N.).
b) Zutreffend geht das Oberlandesgericht weiter davon aus, daß beamtenrechtlich berücksichtigungsfähige Ausbildungs- und sonstige Zeiten auch ohne entsprechenden Antrag im Versorgungsausgleich zur ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu zählen sind. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, daß Ausbildungs- und sonstige Zeiten zur ruhegehaltfähigen Dienstzeit im Sinne des § 1587 a Abs. 2 Nr. 1 BGB zählen, wenn und soweit sie nach § 12 BeamtVG zu berücksichtigen sind, ohne Rücksicht darauf, ob das Ergebnis für den anderen Ehegatten günstig oder ungünstig ist. Daß die beamtenrechtlich vorgeschriebene Entscheidung der zuständigen Behörde ergangen oder auch nur beantragt ist, ist dazu nicht erforderlich. Dies setzt voraus, daß das Gericht, das über den Versorgungsausgleich zu entscheiden hat, eine entsprechende Feststellung über die zu berücksichtigenden Zeiten zu treffen vermag. Soweit in Betracht kommt, daß die Berücksichtigung von Ausbildungszeiten nach pflichtgemäßem Ermessen unterbleiben kann, darf das Gericht nach allgemeinen Grundsätzen dem Ermessen der für die Entscheidung nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständigen Behörde nicht vorgreifen. Ggf. ist (durch die Einholung entsprechender Auskünfte) tatrichterlich aufzuklären, wie die Behörde ihr Ermessen auszuüben beabsichtigt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. März 1981 - IVb ZB 598/80 - FamRZ 1981, 665, 666 und vom 22. Juni 1983 - IVb ZB 35/82 - FamRZ 1983, 999 ). Danach ist das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen, daß nach der Auskunft des LBV vom 27. April 1998 hier nur 8 Jahre und 273 Tage als ruhegehaltfähige Vordienstzeiten anerkannt werden können.
c) Indessen gelten entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts die dargelegten Grundsätze auch insoweit, als die nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden hat, wie der dem Umfang nach feststehende Zeitraum, der als ruhegehaltfähig anerkannt werden kann, auf den Gesamtzeitraum, der als ruhegehaltfähig in Betracht kommt, zu verteilen ist.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist seit langem anerkannt, daß der Gesetzgeber mit den Anrechnungsvorschriften wie etwa § 12 BeamtVG den Zweck verfolgt, einem erst in vorgerücktem Lebensalter in das Beamtenverhältnis übernommenen Beamten annähernd die Versorgung zu ermöglichen, die er erhalten würde, wenn er sich während der fraglichen Zeit, in der er die besondere Eignung für die Wahrnehmung seines späteren Amtes erlangt hat, bereits im Beamtenverhältnis befunden hätte. Die Entscheidung des Dienstherrn über die Nichtanrechnung einer Vordienstzeit wird bei Berücksichtigung der weiten Ermessensgrenzen von jeder Erwägung getragen, die im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck dieser Vorschrift sachgerecht erscheint. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 12 BeamtVG geht es nicht um die Vermeidung einer Doppelversorgung aus öffentlichen Mitteln, sondern allein um eine annähernde Gleichstellung in der Versorgung mit derjenigen eines "Nur-Beamten" (vgl. etwa BVerwGE 66, 65 ; BVerwG Beschluß vom 24. September 1991 - 2 B 111/91 - ZBR 1992, 84).
Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung kann das Ermessen zum Zwecke des Versorgungsausgleichs nicht hiervon abweichend ausgeübt werden. Es geht daher nicht an, daß das Gericht, das über den Versorgungsausgleich entscheidet, die Ermessensentscheidung der nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständigen Behörde durch seine eigene Ermessensentscheidung ersetzt. Im übrigen kann es für die Ermessensausübung nach § 12 BeamtVG ohnehin keine Rolle spielen, daß der Ausgleichsverpflichtete für denselben Zeitraum neben Anwartschaften auf Beamtenversorgung auch Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Betriebsrentenanwartschaften auszugleichen hat, da der Halbteilungsgrundsatz gerade gebietet, daß alle in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte hälftig aufgeteilt werden. Auch soweit daher nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden ist, wie der dem Umfang nach feststehende Zeitraum, der als ruhegehaltfähig anerkannt werden kann, auf den Gesamtzeitraum, der als ruhegehaltfähig in Betracht kommt, zu verteilen ist, darf das Gericht nach allgemeinen Grundsätzen dem Ermessen der nach § 49 Abs. 2 BeamtVG zuständigen Behörde nicht vorgreifen.
3. Danach kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben. Der Senat kann auf der Grundlage der vorgelegten Auskünfte nicht selbst entscheiden. Denn die Auskunft des LBV vom 27. April 1998 (und entsprechend die ergänzende Auskunft der BfA vom 19. November 1998) berücksichtigt naturgemäß noch nicht das Versorgungsänderungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, 3926 ff.).
Die Zurückverweisung gibt dem Oberlandesgericht zugleich Gelegenheit, die betrieblichen Anrechte des Antragsgegners bei der H. AG anhand der Barwert-Verordnung in der Fassung durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Barwert-Verordnung vom 26. Mai 2003 (BGBl. I 728) zu dynamisieren (zur Maßgeblichkeit des zur Zeit der Entscheidung geltenden Rechts auch für die Höhe des Versorgungsausgleichs vgl. etwa Senatsbeschluß vom 9. Februar 2000 - XII ZB 24/96 - FamRZ 2000, 748, 749).