Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 4/6 Verfahren in Kindschaftssachen
In § 154 FamFG wird nun zum Schutz von Kindern und betreuenden Elternteilen eine gegenüber den Entwürfen noch detailreichere Regelung zur Bestimmung des sachnächsten Gerichts getroffen: Das für den jetzigen Aufenthaltsort des Kindes örtlich zuständige Gericht kann zur Vermeidung eines forum-shoppings das Verfahren nur dann an das Gericht des früheren Aufenthaltsorts verweisen (statt abgeben), wenn der Kinderschutz oder der Schutz des betreuenden Elternteils nicht die Bearbeitung am jetzigen Aufenthaltsort gebieten.
§ 158 Abs. 1 Satz 1 FamFG gibt einem Bedenken der Praxis vor ungeprüfter Übernahme von Elternvereinbarungen Raum: Die Gerichte haben auf ein Einvernehmen der Eltern nur insoweit hinzuwirken, als dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Kinderschutz hat damit eindeutig Vorrang vor Elternautonomie.
§ 158 Abs. 2 FamFG stellt jetzt klar, dass die Eltern mit Billigung des Gerichts auch verbindliche Regelungen über die Herausgabe des Kindes treffen können. Anders als bei einvernehmlichen Umgangsregelungen ist das Gericht bei einvernehmlichen Herausgaberegelungen allerdings weniger an den Willen der Eltern gebunden, sondern hat das (einfache) Kindeswohl umfassend zu berücksichtigen.
§ 157 Abs. 2 Satz 2 FamFG übernimmt die zum Schutz von Gewaltopfern generell eingeführte Regelung des § 33 Abs. 1 Sat 2 FamFG mit der Pflicht zur getrennten persönlichen Anhörung ausdrücklich auch in das Kindschaftsverfahren.
Nicht ganz erkennbar ist, ob die Änderung der Worte „wegen Gefährdung des Kindeswohls“ in § 157 Abs. 3 FamFG in „nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuches“ eine inhaltliche Einschränkung oder nur eine Klarstellung enthält. Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls wären immerhin auch die Verfahren auf Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB. Nach bisheriger Meinung kann das Familiengericht notfalls auch in einem Sorgerechtsverfahren eine vorläufige Umgangsregelung erlassen (siehe Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 620g Rn. 2). Da sich § 157 Abs. 1 FamFG aber eben nun einmal – und das unter Beachtung des von der Verfassung geschützten Elternrechts in zutreffender Weise – nur mit möglichen Kindeswohlgefährdungen i.S.d. §§ 1666, 1666a BGB befasst, beschränkt der Abs. 3 die notwendige Prüfung zu Recht ausdrücklich auch nur auf diese Fälle, ohne aber wohl solche künftig völlig auszuschließen.
Die Regelung zum Verfahrenbeistand in § 158 FamFG ist in mehrfacher Hinsicht enger als die Entwürfe vorgesehen hatten. Das ist zumindest teilweise ausdrücklich zu bedauern. So hat nach dem Gesetz gewordenen § 157 FamFG das über 14 Jahre alte Kind keinen durchsetzbaren Anspruch auf Bestellung eines Verfahrensbeistands mehr. Damit wird man leben können, weil eine ganze Reihe dieser Kinder ausreichend in der Lage sind, ihre Belange selbst zu vertreten und in allen anderen Fällen die übrigen Regelungen ausreichen dürften, zur erforderlichen Bestellung eins Verfahrensbeistands zu kommen. Auch die Beschränkung der Regelbestellung auf die Fälle wesentlicher und nicht mehr aller Beschränkungen des Umgangsrechts dürfte unproblematisch und der Sachlage angemessen sein.
Die Regelungen über die pauschale Vergütung des Verfahrensbeistands mit einer sehr niedrigen Regelvergütung von 350 € und einer auf Ausnahmefälle beschränkten etwas höheren Vergütung von 550 € verdient allerdings herbe Kritik und wird einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle vermutlich nicht voll standhalten. Das gilt vor allem für die Neuformulierung in § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG, wonach das Gericht nach den Umständen des Einzelfalls dem Verfahrenspfleger die zusätzliche Aufgabe übertragen kann, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung mitzuwirken. Die Kritik richtet sich nicht gegen die weitere Neuregelung, dass das Gericht Art und Umfang der Beauftragung konkret festzulegen und die Beauftragung zu begründen hat (§ 158 Abs. 4 Satz 4 FamFG). Das ist grundsätzlich sinnvoll und betont die Verantwortung des das Verfahren leitenden Richters anstelle des später nur monierenden Rechtspflegers für die Festlegung der Höhe der Vergütung in § 158 Abs. 7 FamFG. Aus dem gleichen Grunde ist auch die Einführung von Pauschalgebühren zu begrüßen. Sie macht nachträglichen Streit über die Angemessenheit und Notwendigkeit der vom Verfahrensbeistand tatsächlich erbrachten Leistungen mit einem am Verfahren selbst gar nicht Beteiligten überflüssig. Kritik aber muss an der Höhe der auf lediglich zwei Stufen festgelegten Vergütung geäußert werden. Es gibt in der Praxis eine gewisse Anzahl hochstreitiger oder sonst komplexer Fälle, in denen Verfahrensbeistände im Interesse der ihnen anvertrauten Kinder in einem Umfang tätig werden müssen, der auch durch die Pauschalgebühr von 550 € nicht annähernd angemessen entgolten wird. Hier ist – unter strengen Ausnahmekriterien – eine Öffnungsklausel dringend erforderlich, weil auch bei Anlegung einer Durchschnittsbetrachtung aller von einem Berufsverfahrensbeistand erbrachten und vergüteten Leistungen ein deutliches Vergütungsdefizit bleiben wird, das weder im Interesse der Verfahrensbeistände noch der Kinder hingenommen werden kann. Mit Interesse wird man den zu erwartenden Verfassungsbeschwerden von Verfahrensbeiständen und ihrer Behandlung durch das BVerfG entgegensehen.
Besonders scharfe Kritik aber muss an der Neuregelung geübt werden, dass der Verfahrensbeistand nur im Ausnahmefall mit den Eltern soll Gespräche führen dürfen. Derartige, in der Regel einmalige, Gespräche gehören zum Basisauftrag jeder Verfahrensbeistandschaft und können im Gegensatz zur jetzt getroffenen Regelung im Interesse der Kinder nur im Ausnahmefall unterbleiben. Die jetzt getroffene Regelung wird dazu führen, dass der vom Bundesgesetzgeber zum Schutz der Justizhaushalte der Länder gewollte Ausnahmefall der erhöhten Pauschale in der Praxis zum Regelfall werden muss. Das aber kann nicht der Sinn einer solchen Regelung sein.
Neben verfassungsrechtlichen Bedenken verbinden sich mit dieser Neuregelung aber auch ganz praktische Bedenken. Die künftig zu geringe Vergütung wird gerade die qualifiziertesten Verfahrensbeistände davon abhalten, besonders schwierige Verfahren zu übernehmen. Das aber gefährdet alles, was bisher durch die Verfahrenspflegschaft gerade in solchen Fällen erreicht werden konnte, gefährdet Schutz und verfahrensrechtliche Stellung des Kindes und indirekt auch den der Eltern.
§ 159 Abs. 4 FamFG wurde in einer die gerichtliche Praxis erleichternden Weise um die Klarstellung ergänzt, dass der Verfahrensbeistand bei der persönlichen Anhörung des Kindes durch das Gericht anwesend sein soll, in begründeten Ausnahmefällen also auch „ausgesperrt“ werden kann. Das ändert zwar gegenüber dem geltenden Recht nichts, verhindert aber Streit, der ab und zu aufkommt.
Auch § 163 Abs. 3 FamFG betrifft eigentlich eine Selbstverständlichkeit, ist mit seiner Klarstellung, dass ein Kind nicht Zeuge – auch nicht über den Verlauf einer Begutachtung – sein darf, aber zu begrüßen.
Weitere Beiträge aus dieser Reihe:
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 1/6 Einleitung
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 2/6 Verfahren im Allgemeinen
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 3/6 Verfahren in Ehesachen
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 4/6 Verfahren in Kindschaftssachen
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 5/6 Abstammungs- und Adoptionsverfahren
Stellungnahme zum FGG-Reformgesetz – Teil 6/6 weitere Verfahren