BGH, Urteil vom 08.05.2012 - Aktenzeichen VI ZR 196/11
Anspruch eines Unfallgeschädigten gegen den Ersatzpflichtigen auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Inanspruchnahme des eigenen Kaskoversicherers
Zur Frage, ob der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte vom Ersatzpflichtigen die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung der Unfallschäden gegenüber seinem Kaskoversicherer verlangen kann.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 24. Mai 2011 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz materiellen Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Amtsgericht hat eine Haftungsquote von 50 % angenommen. In der Revisionsinstanz streiten die Parteien nur noch darum, ob der Kläger von den Beklagten auch die anteilige Erstattung der ihm für die Geltendmachung der Unfallschäden gegenüber seinem Kaskoversicherer entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangen kann. Das Amtsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte gegen den Schädiger einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die einfach gelagerte Geltendmachung des Schadens gegenüber seinem Kaskoversicherer hat, wenn er zuvor seinen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung der Schäden gegenüber den Ersatzpflichtigen beauftragt hat und insoweit Rechtsanwaltskosten entstanden sind. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Ersatz der ihm für die Geltendmachung der Unfallschäden gegenüber seinem Kaskoversicherer entstandenen Rechtsanwaltskosten weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend die Geltendmachung des Schadens gegenüber seinem Kaskoversicherer. Zwar erstrecke sich die Ersatzpflicht des Schädigers grundsätzlich auch auf die durch die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten. Hiervon erfasst seien insbesondere die durch die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten. Eine Ersatzpflicht des Schädigers bestehe aber nur dann, wenn die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig gewesen sei. Dies sei bei einfach gelagerten Versicherungsfällen wie im vorliegenden Fall nur dann zu bejahen, wenn sich der Kaskoversicherer mit der Schadensregulierung in Verzug befunden oder eine sonstige Pflichtverletzung begangen habe. Im Übrigen sei die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein Versicherungsnehmer, der einen von der Kaskoversicherung erfassten Schaden erlitten habe, den er nicht von einem Unfallgegner ersetzt verlangen könne, regelmäßig bei der Inanspruchnahme des Kaskoversicherers keine anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen werde, da er in diesem Fall die Kosten selbst tragen müsse. Im Streitfall sei der Kaskoversicherer weder mit der Schadensregulierung in Verzug geraten noch habe er eine sonstige Pflichtverletzung begangen. Er habe vielmehr bereits vier Tage nach Anzeige des Versicherungsfalls seine Leistungsbereitschaft erklärt und die Versicherungsleistungen angewiesen.
II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Die Revision richtet sich allein gegen die Versagung des Anspruchs auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist dagegen nicht der von den Vorinstanzen abgewiesene Antrag des Klägers auf Zahlung einer weiteren Kostenpauschale in Höhe von 5 €. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Revisionsbegründung, die zur Ermittlung des Begehrens des Rechtsmittelführers heranzuziehen ist (vgl. zur Auslegung von Prozesserklärungen: Senatsurteil vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 29. März 2011 - VIII ZB 25/10, NJW 2011, 1455 Rn. 8 ff., jeweils mwN). Durch den Hinweis, das Berufungsurteil werde im zugelassenen Umfang zur Überprüfung durch den Senat gestellt, und dadurch, dass sich der Kläger in der Revisionsbegründung ausschließlich mit der Frage der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten befasst, hat er deutlich gemacht, dass er sich mit der Revision lediglich gegen die Aberkennung dieses Anspruchs wenden will.
2. Die Revision ist unbegründet. Sie wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der dem Kläger gegen die Beklagten zustehende Schadensersatzanspruch umfasse nicht die für die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers entstandene Rechtsanwaltsvergütung.
a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 27. März 2012 - VI ZR 40/10, z.V.b. Rn. 6; vom 7. Juni 2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 10, jeweils mwN).
b) Derartige Rechtsfehler sind vorliegend nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht gegen Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verstoßen.
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats ist bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Senatsurteile vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348 , 350 ff.; vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 274/10, VersR 2012, 331; vom 12. Juli 2011 - VI ZR 214/10, NJW 2011, 3657 Rn. 17; vom 11. Januar 2011 - VI ZR 64/10, NJW 2011, 784 Rn. 10; vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05, VersR 2006, 521 Rn. 5; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 73/04, VersR 2005, 558 Rn. 7, jeweils mwN).
bb) Es kann dahinstehen, ob - was das Amtsgericht verneint und das Berufungsgericht nicht geprüft hat - der Kläger im Innenverhältnis zu seinem Anwalt zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist. Denn die angegriffene Entscheidung wird jedenfalls von der Erwägung des Berufungsgerichts getragen, die streitgegenständlichen Anwaltskosten seien im Außenverhältnis des Klägers zu den Beklagten nicht erstattungsfähig. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts handelte es sich vorliegend um einen einfach gelagerten Fall, in dem der Kläger die ihm entstandenen Schäden zunächst selbst gegenüber dem beklagten Haftpflichtversicherer, der Beklagten zu 3, geltend gemacht hatte. Erst nachdem dieser seinem Leistungsverlangen nicht entsprochen hatte, schaltete er einen Rechtsanwalt ein. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, warum der Kläger die ihm wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs gegen seinen eigenen Kaskoversicherer zustehenden Ansprüche nicht auch ohne anwaltliche Hilfe bei diesem anmelden und ihn zur Zahlung auffordern konnte. Es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kaskoversicherer seine Leistungspflicht aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen Versicherungsvertrag in Abrede stellen würde. Der Umstand, dass der Beklagte Haftpflichtversicherer mit der Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Leistungspflicht aus § 115 VVG in Verzug geraten war, ließ keine Rückschlüsse auf das Regulierungsverhalten des mit dem Kläger vertraglich verbundenen Kaskoversicherers zu. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb es dem Kläger aufgrund der Leistungsverweigerung des Haftpflichtversicherers unzumutbar gewesen sein soll, den Schadensfall seinem eigenen Kaskoversicherer zu melden und ihn zur Zahlung aufzufordern, ohne hierfür einen Anwalt hinzuzuziehen. Die Leistungsverweigerung durch den gegnerischen Haftpflichtversicherer hatte keine Auswirkungen auf die vertraglichen Beziehungen des Klägers zu seinem Versicherer; sie vermag auch nicht die Erstattungsfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten zu begründen, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte nicht erforderlich waren (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 274/10, aaO Rn. 20 mwN).
Von Rechts wegen
Verkündet am: 8. Mai 2012